Samstag
Wir halten uns an den Händen, um uns in der Menschenmasse nicht zu verlieren. Hunderte Passanten mit Einkaufstüten, Familien mit Kindern und Touristen drängen sich aneinander vorbei. Ein Geruch von gegrilltem Fleisch, der aus den vielen Lokalen strömt, liegt in der Luft. Türkische Imbisse und Süßigkeiten-Läden neben McDonald’s und Adidas. Die Istiklal ist eine der bekanntesten und belebtesten Straßen Istanbuls. Die Lebensader von Beyoglu, dem pulsierenden Stadtteil im Herzen der Metropole. Über unserem Köpfen wehen Girlanden mit Türkei-Flaggen in der Spätsommer-Brise.


Plötzlich schickt uns Google Maps in eine Seitenstraße. Dann durch einige verwinkelte Gassen, wobei wir immer wieder den Motorrädern, die in wilden Fahrmanövern um die Kurven schießen, ausweichen müssen. An einem Kiosk – „Büfe“ auf Türkisch – verschnaufen wir und kauften zwei Flaschen Wasser. Nur wenige Minuten später kommen wir an unserem Airbnb an. Erschöpft von der Anreise lassen wir uns auf das Sofa im Wohnzimmer fallen. Doch schon bald zieht es uns unweigerlich erneut auf die Istiklal. Wir knabbern Kastanien, während uns die ersten Eindrücke von Istanbul wie ein Tornado erfassen.
Sonntag
Kurz vor fünf Uhr morgens. Endlich haben wir die letzte Mücke von einer ganzen Schar erlegt, die uns die die ganze Nacht gequält hatte. Ich kuschele meinen Kopf in das Kissen, um noch ein paar Stunden in Frieden zu schlafen – da ruft plötzlich der Muezzin einer benachbarten Moschee zu Gebet. Ein Klang, ein Sinneseindruck, der zur Türkei gehört, der sofort in meinem Kopf ertönt, wenn ich an das Land denke. Egal wie laut die Stadt ist – wenn sie zum Gebet rufen, übertönen ihre aus den Lautsprechen schallende Stimmen alles andere.

Noch ein Häuserblock, dann eröffnet sich uns endlich der Blick auf den Bosporus. Das Wasser glitzert in der Sonne. Auf der anderen Seite ist alles dicht bebaut. Wohnhäuser und majestätische Moscheen. „Ist das die Blaue Moschee?“, frage ich und zeige auf ein Bauwerk mit türkis-grauen Kuppeln. Keiner von uns weiß es. Jedes dieser beeindruckenden Gotteshäuser könnte ein berühmtes Monument sein. Doch zur Blauen Moschee ist es noch ein Stück zu laufen. Über die Galata-Brücke, die die europäische Südseite mit der europäischen Nordseite Istanbuls verbindet. Wir haben die Wahl: Oben oder unten entlanggehen. Auf der unterer Hälfte reihen sich Fischrestaurants aneinander, oben stehen ältere Männer am Brückengeländer, die ihren Sonntag mit Fischen verbringen. Er bleibt kurz stehen, um sich ein süßes Gebäckteil bei einem einsamen Händler zu kaufen. Ein Ring, der anschließend frittiert und mit Zucker übergossen wird – der übliche Herstellungsprozess türkischer Naschereien. Neben uns beginnt einer der Einheimischen zu jubeln. Ein Fisch hat angebissen.


Wir laufen eine enge Gasse hoch, die Straßenbahn rauscht neben uns vorbei. Wir bewegen uns langsam, denn zum einen ist der Gehsteig nur wenige Zentimeter breit und es kommen uns ständig Passanten entgegen. Zum anderen wollen wir kein Detail der Stadt verpassen. In einem Restaurant kneten ältere Frauen Teig am offenen Fenster. Daneben ein Teppichladen, daneben ein Fotostudio, in dem man traditionell osmanische Kleidung anziehen und sich damit ablichten lassen kann. Der Papagei, den es gratis dazugibt, wirkt weniger begeistert. Der Vogel kaut auf einer Plastikflasche, immer bereit für den nächsten Einsatz. Nein danke. Stattdessen setzen wir uns in ein Café gegenüber. Mein Latte kommt auf einem kleinen Silbertablett, daneben ein winziges Glas, gefüllt mit Wasser und einer lilafarbenen Blüte.


Zurück auf der anderen Seite stolpern wir in den Galataport. Eine Mischung aus teurer Shopping-Mall, exquisiten Restaurants und Anlegestelle für Kreuzfahrtschiffe. Wir setzen uns auf eine der vielen Bänke, die direkt am Bosporus stehen und machen es uns dort gemütlich. Die wohlhabendere Bevölkerung der Stadt flaniert die Promenade entlang. Dass dort auch Kinder toben und Inliner skaten, stört niemanden. Wir blicken aufs Wasser, während die Sonne langsam untergeht. Der Ausblick ist wohl das Einzige, das es dort umsonst gibt. Manchmal alles, was man braucht. Essen wollen wir ohnehin lieber bei einem Türken in einer kleinen, engen Gasse.

Montag
„Excuse me, I am taking a photo here!”, blafft mich eine elegant gekleidete Touristin an. Der Nächste rammt mir seinen Ellenbogen in den Rücken. Wir stehen vor den bunten Stufen des Stadtteils Balat. Das kurdische Quartier hat sich durch Instagram in einen Besucher-Hotspot entwickelt. Der Kampf um das beste Foto wird hier mit harten Bandagen geführt. Wir widmen uns lieber dem Frühstück in einem kleinen Lokal abseits all der posierenden Menschen. Eine einzige Frau steht hinter dem Herd. Sie trägt ordentlich auf. Türkisches Frühstück ist wie ein kleines Buffet, wie Brunch. Brot, süße und herzhafte Aufstriche, Käse, Oliven, Eier – und dieses Mal gibt es sogar Helva, meine liebste türkische Nascherei. Sie basiert auf Sesammus und schmeck herrlich süß-bitter. Eine Katze mit spitzen Eck-Zähnen, die ihr übers Kinn wachsen, schaut uns aufmerksam beim Essen zu.


Ein weiterer Instagram-Spot ist der Straßenzug mit den bunten Häusern. Was im Netz aussieht, wie eine gigantische, farbenfrohe Welt, sind in Wirklichkeit nur vereinzelte Bauwerke. Ein paar Ausländer, die wir dort treffen, zeigen sich enttäuscht. Ein rotes Haus, ein Dunkelblaues, ein Orangenes, ein Hellblaues und ein Gelbes, überwuchert von Efeu. Wunderschön – doch eben nur ein kurzer Straßenzug. Wesentlich mehr berührt uns, was hintern den polierten Bauten zum Vorschein kommt. Die Armut der Menschen ist deutlich zu sehen. Verfallene Häuser mit eingeschlagenen Fensterscheiben und Farbe, die von der Fassade abbröckelt. Von wegen bunt. An die Wände sind kurze Kritzeleien gesprüht, keine Street Art. Hier gibt es keine Frühstückslokale, keine Supermärkte, nicht einmal einen Kiosk. Aber viele Kinder, die auf der Straße spielen. Eines kommt auf uns zu, tippt uns wiederholt auf die Arme und bettelt um ein paar Lira. Wir verlassen das Viertel, kamen nochmal an den Sehenswürdigkeiten und der Hauptstraße vorbei, wo Touristen in hippen Cafés sitzen. Ab durch eine Seitengasse auf die Hafenpromenade. Atmen.


Den Grand Bazar habe ich mir als hektischen Open-Air-Markt vorgestellt, wo man vor allem Datteln, frisches Obst und türkische Spezialitäten kaufen kann. Stattdessen ist der Bazar in einem gigantischen Bau untergebracht. Die Decke zieren orientalische Muster, die ich fast aufregender finde als die Ware. Es gibt hauptsächlich Schmuck, Teppiche, Lampen. Spannender ist für mich der Ägyptische Bazar, ein kleinerer Komplex wenige Minuten Fußweg entfernet. Die Händler bieten getrocknetes Obst, Gewürze und Süßigkeiten an. Doch der eigentliche Handel spielt sich zwischen den Märkten ab. Massenweise Einheimische schlendern durch die Gassen, trinken in Cafés an der Seite ihren Tee und kaufen ein. Überall finden sich Läden voller Handyhüllen, gefälschten Marken-Klamotten und Hochzeitskleider. Vorankommen ist hier kaum möglich. Egal, ich kaufe einen frischen Saft an einer der viele „Vitman Bars“ und schlürfe das köstliche Getränk, während wir uns den Weg zur Metro bahnen.
