Mein Simit bleibt mir fast im Hals stecken. Bei jeder Kurve befürchte ich, dass uns ein anderer Wagen entgegengeschossen kommt und uns brutal rammt. Nicht nur, dass die Straße eng, kurvig und kaum befestig ist. Sie führt auch noch einen Berg nach oben, direkt am Abhang entlang. Gleich neben uns stürzen sich gigantische Felsen in die Tiefe, an deren Fuß das Meer liegt. Im Schneckentempo kriechen wir vorwärts und wechseln uns solidarisch mit dem Fluchen ab. Nach einer gefühlten Ewigkeit geht es bergab, bevor wir dann auf der asphaltierten Landstraße ankommen. Die riesigen Felsen, auf denen wir gerade noch herumgetuckert sind, erheben sich nun bedrohlich neben uns. Auf der anderen Seite die unendliche türkisblaue Weite.

Viele Menschen sind im Zentrum von Samandag unterwegs. Trotzdem fühlt sich die Atmosphäre grau an. Verfallene Häuser und heruntergekommene Läden prägen das Bild. Eine Gruppe alter Herren spielt Schach vor einem leerstehenden Gebäude. Ein paar junge Schüler unterhalten sich lachend. In einer ehemaligen Fleischerei hängt ein letzter toter Leib. Wir fahren wieder aus der Stadt heraus.
Wieder eine Bergstraße. Dieses Mal aber immerhin mit Asphalt. Wir kommen den Windrädern immer näher. Doch unser eigentliches Ziel ist die Ruine des Klosters des Symeon Stylites des Jüngeren. Wir parken das Auto, der Wind weht stark auf dem Gipfel. Auf einer saftig grünen Wiese sind die Überbleibsel des einst wohl prachtvollen Bauwerks verteilt. Abgeschliffene Steine, lange Säulen, an einigen Stellen stehen noch Torbögen und Wände. Hier und da sind sogar kunstvolle Verzierungen in den Steinen zu sehen. Ein letzter Blick auf die Dörfer im Tal, bevor wir wieder aufbrechen.


Dort, wo der Prophet Moses vor tausenden Jahren einen Stock in die Erde geschoben haben soll, steht heute ein gigantischer Baum. 17 Meter schiebt sich der dicke Stamm (mit einem Durchmesser von mehr als sieben Metern) in die Höhe. Eine ausladende Baumkrone spendet Schatten. Rund um das gewaltige Gewächs stehen Holzbänke. Ältere Menschen sitzen beieinander. Ein Eisverkäufer stupst immer wieder die Glöckchen an seinem Stand an, um mit dem hellen Klingelton auf sich aufmerksam zu machen. Ein paar Meter weiter plätschert ein Bach, am Ufer gibt es noch mehr Bänke – und ältere Damen, die frisches Gözleme, einen flachen, herzhaft gefüllten Teigfladen, verkaufen. Katzen, die auf ein paar Krümel hoffen, gibt es auch. Um unsere Beine streicht ein getigertes Exemplar, während wir uns den Bauch mit der hausgemachten Spezialität vollschlagen. Tatsächlich bleiben für das goldige Tier ein paar Happen Kartoffeln, Spinat und Teig übrig.


Neben dem Areal, in dem wir das Auto abgestellt hatten, steht ein Einfamilienhaus. Die Bewohner haben sich den Parkplatz zu eigen gemacht. Das handgeschriebene Schild, das auf eine „Parkgebühr“ von zehn Lira hinweist, war uns zunächst nicht aufgefallen. Als wir zurückkommen, lässt eine Frau vom Balkon einen kleinen Eimer an einer Leine zu uns herab und fordert rabiat das Geld. Armut macht kreativ.

Einen Orangensaft und einen Nescafé trinken wir in dem kleinen Lokal. Das Einzige, das es in Vakifli gibt. Nicht einmal 150 Menschen leben in dem Dorf. Die Bevölkerung ist überwiegend armenisch – Vakifli gilt als letztes armenisches Dorf in der Türkei. Eine Kirche aus sandfarbenem Stein ist der Mittelpunkt der Ortschaft. Der Duft von Weihrauch steigt uns in die Nase, als wir einen Blick in die Räumlichkeiten werfen. Die Wohnhäuser scheinen aus dem gleichen Material gebaut. Große, gepflegte Anwesen mit blühenden Rosensträuchern in den Vorgärten und Limettenbäumen, die über die Zäune wuchern. „Hier gibt es keine Unterschiede, jeder ist gleich“, erläutert uns die junge Kellnerin im Café das Zusammenleben der Religionen. Sie selbst sei Türkin, ihr Chef Armenier und sie verstehen sich gut. Ob jung oder alt, Christ oder Moslem – alle kommen miteinander klar, sagt sie. Eine Gemeinschaft. „Vor einem Monat war es hier sehr voll. Jeder hier hat nämlich Verwandte auf der ganzen Welt, die jeden Sommer zu Besuch kommen“, berichtet die Türkin.



Letzter Stopp ist das kleine Museum, das die Geschichte von Vakifli erzählt. Die Ausstellung beinhaltet unter anderem traditionelle Kleider, Musikinstrumente und Videos über die wichtigsten Feste in der armenischen Kultur. Eine lebensgroße und sehr realistisch wirkende Puppe von einem Koch, der in einem Topf rührt, lässt uns einen Schauer über den Rücken laufen.