Letzte Station in Rumänien: Cluj-Napoca. Als ich nach der Ankunft den Bahnhof verließ, merkte ich sofort, dass ich mich wieder in einer Großstadt befand. Breite Straßen statt Kopfsteinpflaster, große, barocke Gebäude mit ausladenden Fassaden und Straßenbahnen, die durch die Stadt zuckelten. Mit einem Covrig – meinem liebsten rumänischen Gebäckteil – in der Hand lief ich zu meiner Unterkunft und beobachtete die Menschen. Eine Mischung aus Studenten, Geschäftsmännern und Touristen. Nach einem 40-minütigen Fußmarsch kam ich in meiner kleinen, dunklen und etwas verlassen wirkenden Pension an. Ich warf meinen Rucksack ab und marschierte zurück ins Zentrum, wo ich mit zwei Jungs, die ich bereits aus Brasov und Sibiu kannte, verabredet hatte.


Ich schlängelte mich durch die Menschenmassen auf dem Hauptplatz, der Piața Unirii, und bog ab in die Strada Matei Corvin. Eine engere Straße, über der zahlreiche Lichterketten baumeln. Damit betrat ich die Altstadt von Cluj, ein kleines Areal aus verwinkelten Gassen, in denen sich Pubs und Bars aneinanderreihen. Besonders schön ist die Atmosphäre hier, wenn es dunkel wird und die Lichterketten leuchten. Dort traf ich auch auf meine Freunde, mit denen ich mich dann in ein Café setzte. Anschließend schlenderten wir über einen Wochenmarkt vor der Babeș-Bolyai-Universität.


Wir bewunderten Antiquitäten, probierten traditionelle, rumänische Kleidung an und kosteten landestypische Spezialitäten. Das Angebot war so groß und der Platz so voll mit Menschen, dass wir uns immer wieder aus den Augen verloren. Nach einer Weile gingen wir zurück zu unseren Unterkünften. Den Abend verbrachte ich aber im Hostel der Jungs, wo ich auch die nächsten zwei Nächte unterkommen wollte. Mit zwei anderen Reisenden mischten wir uns Cocktails und machten uns kurz darauf auf den Weg, das Nachtleben von Cluj zu erkunden. Wenig später fanden wir uns im Innenhof einer kleinen Bar wieder, wo sich junge Einheimische zu Techno-Beats bewegten.

Es stellte sich heraus, dass wir auf einer Party von Abschlussschülern gelandet waren, die mit der Feier Geld für ihren Ball sammelten. Wir gaben ihnen eine kleine Spende und wanderten zur nächsten Location, einem Open-Air-Club. Hier war es richtig voll, aber die Partygäste hatten offensichtlich riesigen Spaß und tanzen wild. Wir stürzten uns ins Getümmel, doch bereits nach einer halben Stunde war die Feier vorbei. Der DJ spielte langsame, rumänische Volkslieder, um die Menschenmassen zum Gehen zu bringen.

Auch wir verließen den Club und suchten nach einem Snack. Wir landeten bei „Sultan“, dem wohl besten Döner- und Falafel-Lokal der Stadt. Die Schlange vor dem Laden zeugte von der Beliebtheit der Imbiss-Bude. Wir freundeten uns während des Wartens mit einem Pärchen an, das wir auch die kommenden zwei Nächte genau dort wiedertrafen. Leider wollte auch ein sehr betrunkener, älterer Herr unsere Bekanntschaft machen und ließ nicht mehr von uns ab. Wir flüchteten vor ihm und setzten uns mit einem letzten Getränk auf eine Parkbank auf der Piața Unirii, bevor jeder zu seiner Unterkunft zurückging.


Bei strahlendem Sonnenschein checkte ich früh am Morgen aus meiner merkwürdigen Bleibe aus und lief in das Hostel, in dem meine Freunde übernachteten. Die erste Nacht war die Unterkunft komplett ausgebucht gewesen, die kommenden beiden Nächte hatte ich aber ein Bett ergattern können. Ich lief zum Start des Tages erst einmal eine Runde durch Cluj. Zur Mittagszeit brach ich mit einem meiner Freunde zum Hoia Baciu auf. Einem Waldgebiet westlich der Stadt, das als einer der gruseligsten Orte Europas gilt. Das liegt an den vielen Mythen und Legenden, die es zu dem Wald gibt.

Immer wieder sollen Menschen dort UFOs oder geisterhafte Erscheinungen gesichtet haben oder spurlos verschwunden sein. Deshalb wird der Hoia Bacu auch als „europäisches Bermudadreieck“ bezeichnet. Das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen und stiegen in einen Bus Richtung Westen. Nach 20 Minuten Fahrt verließen wir das stickigen Gefährt schweißgebadet und mussten noch ein kleines Stück zu Fuß zurücklegen. Der Weg führte durch ein abgelegenes Industrie-Gebiet und war um einiges gruseliger als der Wald selbst. Denn der Hoia Bacu war schlussendlich eben doch ein ganz unspektakuläres Waldstück. Wir genossen den Schatten und die kühle Brise, von irgendwelchen mystischen oder unheimlichen Ereignissen war jedoch nichts zu spüren.

Nach einer Weile kamen wir über einen Rundweg auf eine Lichtung. Von dem Hügel aus hatten wir einen weiten Blick über Cluj-Napoca, der uns die Dimensionen der rumänischen Großstadt vor Augen führte. Eine Masse an Hochhäusern und Wohngebäuden, die sich endlos nach beiden Seiten auszudehnen schien. Wir folgten dem Pfad bergab, der uns in einen Vorort von Cluj namens Floresti führte. Wir stärkten uns bei einem Bäcker und wanderten dann noch eine Stunde zum Hostel zurück. Wir liefen am Somesul Mic-Fluss, mehreren Parks und am Fußballstadion von Cluj vorbei. Wieder zurück legten wir erst einmal die schmerzenden Füße hoch.

Dafür gönnten wir uns ein richtig leckeres Abendessen. Zu dritt gingen wir ins „Samsara Foodhouse“, ein bekanntes, veganes Restaurant. Wir konnten uns auf die wunderschöne Terrasse setzen und bestellten strategisch klug die drei am appetitlichsten klingenden Vor- und Hauptspeisen. Unter anderem hatten wir eine köstliche Kokos-Austernpilzsuppe, knusprig panierten Tofu auf frittiertem Reis und cremige Pasta mit Artischocken und getrockneten Tomaten. Mit vollen Bäuchen liefen wir zurück ins Hostel. Viel mehr Bewegung schafften wir nicht mehr. Also verbrachten wir den Abend in der Gemeinschaftsküche mit einer Handvoll anderen Reisenden. Wir tauschten Geschichten aus, lachten ganz viel und machten am Ende doch noch einen kurzen Ausflug zu „Sultan“.


Am nächsten Tag, dem letzten vollen Tag in Rumänien, schlief ich tatsächlich einmal aus, da ich ziemlich ratlos war, was ich mit der Zeit noch anfangen sollte. Ausflugsziele außerhalb von Cluj, wie die das bekannte Salzbergwerk in Turda oder die Schlucht Cheile Turzii, eine wunderschöne Bergregion, in der man gut wandern kann, waren entweder zu weit weg oder ohne Auto schlecht zu erreichen. Ich frühstückte eine Wassermelone mit einem der Angestellten im Hostel und unternahm dann einen ausgedehnten Spaziergang durch den botanischen Garten „Alexandru Borza“. Der Eintritt kostete umgerechnet zwei Euro.


Ich schlenderte durch die unterschiedlichsten Weltregionen an Pflanzen, roch an mediterranen Kräutern, bestaunte Kakteen und Palmen und setzte mich in den Schatten eines gewaltigen Tannenbaumes, um Tagebuch zu schreiben. Als ich gehen wollte, verbrachte ich ungewollt noch mehr Zeit in dem Garten, weil ich mich mehrfach verlief. Am Nachmittag ging ich einen Eiskaffee trinken, lief ein letztes Mal durch Cluj und aß mit meinen beiden Freunden im Hostel selbstgekochten Eintopf. Ein wunderbar ruhiger, letzter Tag in dem südosteuropäischen Land.

Am kommenden Tag musste ich direkt nach dem Aufstehen zum Bahnhof aufbrechen. Ich ließ mir so viel Zeit, dass ich ohnehin schon spät dran war – und dann stieg ich auch noch in den falschen Bus ein, der statt zum Bahnhof raus aus der Stadt fuhr. Zum Glück bemerkte ich meinen Fehler sehr schnell, sodass ich aussteigen und in den richtigen Bus steigen konnte. Erleichtert wollte ich mich schon im Sitz zurücklehnen, als der Fahrer plötzlich anhielt und grundlos ausstieg. Mit jeder Minute, die verging, wuchs meine Panik. Wenig später kehrte der Mann mit einem Snack in der Hand zurück und fuhr zum Bahnhof.

Ich raste zum Gleis und schaffte es tatsächlich, mich drei Minuten vor Abfahrt in den Sitz fallen zu lassen. Umso entspannter war dann die Fahrt: Bis nach Bukarest dauerte es neun Stunden, die ich zum Schlafen und Schreiben nutze. Abends kam ich in der Hauptstadt an und ging – nach einem letzten Covrig – direkt zum Flughafen. Mein Flug ging zwar erst am nächsten Morgen, allerdings schon um sechs Uhr früh, sodass sich eine Unterkunft zu buchen nicht gelohnt hätte. So schlug ich also die restlichen Stunden in Rumänien am Flughafen tot und ließ die Reise Revue passieren. Ich war mehr als glücklich, mich für dieses Land, seine wunderschönen Städte und atemberaubende Natur entschieden zu haben. Orte, an denen ich ein Teil meines Herzens zurückgelassen habe. Mit Menschen, die mir hoffentlich auf zukünftigen Abenteuern noch einmal begegnen werden.