Der Bus sollte bereits in zehn Minuten in Valladolid abfahren, hat jedoch mehr als eine halbe Stunde Verspätung. Nervös frage ich den Angestellten hinter dem Schalter zum fünften Mal, ob der Bus wirklich kommt. Im Inneren des Fahrzeugs ist es so stark klimatisiert, dass ich einen Pulli und eine Jacke überziehen und meine Beine in ein Handtuch und die Decke, die ich aus dem Flugzeug mitgenommen hatten, einwickeln muss.


Schon wieder bin ich an einem völlig anderen Ort – der nicht mein Fall ist. Clubs und Diskotheken an jeder Ecke, aus denen der Reggaeton in einer unfassbaren Lautstärke dröhnt. Als ob Bad Bunny und Daddy Yankee direkt in mein Ohr kriechen und erbarmungslos gegen mein Trommelfell hämmern. Pizzerien und Burger-Läden statt Taquerías reihen sich aneinander. Ich lande im einzigen mexikanischen Lokal, wo ich eine versalzene Guacamole essen und den Kakerlaken zuschauen, wie sie durch den Raum huschen. Es war fünf vor elf, als mein Bus von Valladolid in Playa del Carmen ankam. Da die Rezeption meines Hostels laut Buchung um elf schließen würde, sprang ich panisch in ein Taxi, um noch rechtzeitig anzukommen. Völlig unnötig, wie sich am Ende herausstellte. Ein Kanadier, der in meinem Schlafsaal gerade seine Edelstein-Sammlung putze, teilte mir mit, dass das Hostel in dieser Party-Hochburg 24 Stunden geöffnet hat.


Wellengang aus der Hölle! Damit hatte ich nicht gerechnet, als ich die Fähre nach Cozumel bestieg. Das Schiff schwankt, wackelt und kippt in alle Richtungen. Bei den größten Wellen scheint das Gefährt sogar aus dem Wasser zu springen. Ich kralle mich an meinem Sitz fest. Dann merke ich, dass die Angestellten routiniert Kotztüten ausgeben und bereits Händler durch die Reihen gehen, in dem Versuch, Touren und Souvenirs zu verkaufen. Daraus schließe ich, dass der Wellengang hier wohl normal ist. „Yep, that’s Cozumel“, bestätigt meine Freundin Alejandra aus Cancún. Dennoch bekreuzige ich mich innerlich, als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe.



Besser, viel besser. Hier reihen sich wieder überall niedliche bunte Häuser aneinander. An den Wänden prangen kunstvolle Gemälde. Zwei Delfine im blauen Ozean. Eine Frau mit betenden Händen. Vor einem Café, aus dem es nach frisch gemahlenem Kaffee duftet, stehen mit Aztekenmuster bemalte Tische. Ich lasse mich nieder und bestelle eine eiskalte Smoothie-Bowl und ein warmes Getränk. Die Spezialität des Hauses ist Peanut Butter Coffee: Schwarzer Kaffee, im Mixer mit Erdnussbutter vermengt – ein flüssig-cremiges Dessert! Die Kellnerin, eine junge Frau, die vor wenigen Monaten erst von Kalifornien nach Mexiko gezogen ist, verrät mir die genauen Mengenangaben. Ich kündige an, auf noch mehr Peanut vorbeizukommen. Seitdem habe ich eine Stempelkarte von Coz Coffee Roasting in meinem Geldbeutel.


Im Parque San Benito Juarez, dem Hauptplatz der Insel, aus dem ein orange-leuchtender Uhrenturm herausragt, sitze ich unter einer Palme. Drücke innerlich die Pause-Taste. So wie der Hund, der mir gegenüber im Gras liegt und dem Ball, den ihm ein kleiner Junge zuwirft, nur mit einem müden Augenrollen folgt. Ich werfe ihm einen wissenden Blick zu, bevor ich vor der Mittagshitze in das klimatisierte Hostel fliehe.


Zusammen mit Catherine, einem weiteren Abenteuergeist aus meiner Unterkunft, erkunde ich den Strand, der uns am nächsten ist, den Cruising Beach. Felsen statt Sand führen hier ins tiefblaue Wasser. Die Erfrischung ist bitter nötig. Gemütlich sitzen kann man auf dem kahlen, abrasierten Rasen eher weniger. Wir laufen weiter und klettern wenig später auf eine kleine Mauer, die direkt am Meer entlang verläuft und als Mirador Puerto de Abrigo bekannt ist. Die Einheimischen nutzen den Vorsprung, um ins Wasser zu hüpfen. Wir trauen und nicht und lassen stattdessen die Füße im Meer baumeln.


Der Regen hämmert unerbittlich auf das Metall-Dach über uns. Gerade noch rechtzeitig hatten wir es in die Bar geschafft. Ein hübscher Laden mit ausgefallener Deko (darunter ein in der Mitte durchgesägtes Auto). Wir studieren die Karte ausgiebig, um die günstigsten Getränke ausfindig zu machen, entscheiden uns dann aber für das Special, das der Kellner uns anbietet. Zwei zum Preis von einem. Dabei handelt es sich um einen fruchtigen Cocktail mit Mezcal, einer Spirituose aus Agave, die in Mexiko ebenso verbreitet ist wie Tequila. Als wir ausgetrunken haben, hört der Regen auf. Wir ziehen weiter, doch auf Cozumel ist kaum etwas los. In einigen Bars gibt es Live-Musik, aber kein Publikum. Die Straßen sind verlassen, in den Pfützen spiegeln sich die Lichter. Wir entscheiden uns für ein Lokal am Wasser, wo die Musikvideos auf Flachbildschirmen nach einiger Zeit von einer Band abgelöst werden. Der Sänger hat eine tolle Stimme und schafft es nach und nach, alle zum Bachata zu animieren – außer uns. Wir trauen uns wieder nicht und ziehen stattdessen weiter, in einen Club, der unmittelbar neben unserer Unterkunft liegt. Die Musik ist so laut, dass ich nicht einmal mehr Catherine, die in mein Ohr schreit – und das auf Deutsch – verstehen kann. Wir sippen Rum-Cola, schauen den Tanzenden zu. Doch auch in der Disko herrscht für einen Freitagabend sehr wenig Betrieb. Ab ins Bett – wo wir die Musik noch immer hören können. Der Inhaber des Hostels hatte uns zwar vorgewarnt. Damit, dass die Wände derart beben, haben wir trotzdem nicht gerechnet. Dennoch übermannt uns irgendwann der Schlaf.

Mein erstes Bedürfnis nach dem Aufwachen: Peanut Butter Coffee. Die Kalifornierin begrüßt mich mit strahlendem Lächeln und empfiehlt mir dazu das Avocado-Toast, auf das der Koch wirklich ordentlich Guacamole draufpackt. Nach meinem klassischen Hipster-Frühstück breche ich mit Catherine zu einer Erkundungstour auf. Wir wollen die andere Seite der Insel abfahren, wofür wir uns ein Auto mieten. Uns erwartet ein klappriger himmelblauer Wagen, dem es an fast allem außer Bluetooth fehlt. Wir manövrieren uns oft mit mehr Glück als Geschick durch die engen Gassen der Stadt. Oft fahren wir in die falsche Richtung und werden angehupt oder beschimpft. Doch das System, nach dem sich die Fahrer hier orientieren, bleibt uns ein Rätsel. Erst kurz bevor wir den Wagen am Abend abgeben, merke ich, dass die winzigen Pfeile auf Google Maps, über die ich mich den ganzen Tag bereits gewundert hatte, die Richtung vorgeben.

Diese Seite der Insel ist viel wilder, rauer, unberührt. Mit gigantischen Wellen, die sich mit voller Gewalt an den Felsen an der Küste brechen. Außer ein paar wenigen Lokalen ist der ganze Abschnitt unbebaut. Stattdessen säumen wilde Palmenwälder die Straße, auf der wir in unserem kleinen Gefährt tuckern. Den ersten Stopp legen wir im „Coconuts“ ein. Von der Terrasse des schnuckeligen Restaurants beobachten wir die stürmische See und Leguane, die gemächlich neben uns über die Felsen klettern. Zur Abwechslung vom Reggaeton, der sonst überall zu hören ist, läuft bei uns im Auto sanfter Techno. Nach ein paar Minuten taucht das nächste Lokal auf, die „Mojito Factory“, die auf Cozumel sehr bekannt ist. Vor dem Laden stapeln sich frische Kokosnüsse, dahinter sitzen die Gäste in Hängematten direkt an der tosenden See. Um elf Uhr in der Frühe ist uns noch nicht nach Rum zumute. Stattdessen wollen wir an den Strand. Wir nehmen die Kurve und sind wieder auf der touristischen Seite der Insel.


Das Meer ist ruhiger, typisch karibisch mit flachem Wasser und leisen Wellen und dem charakteristischen Farbverlauf verschiedener Blautöne. Die Strände sind auf Cozumel fast ausschließlich Beach Clubs, die zwar keinen Eintritt kosten, aber einen Mindestverzehr fordern. Da wir ohnehin hungrig sind, passt das gut. Ceviche für meine Amiga, Gemüse-Fajitas für mich. Guacamole für uns beide. Während wir essen, regnet es. Wir flüchten unter einen Sonnenschirm. Sobald sich die Wolken verzogen haben, fläzten wir uns in den Sand. Um uns herum wühlen Waschbären im Sand, die feinen Körnchen bleiben auf ihren Schnauzen kleben.


Es ist bereits dunkel, als ich wieder auf das Schiff steige. Mental bin ich auf die trubelige Fährfahrt vorbereitet, denke ich. Doch mein Kopf steckt den wilden Ritt nicht gut weg und dröhnt, als ich in Partytown del Carmen wieder aussteige. Bis mein Bus nach Tulum kommt, dauert es noch. Ich suche Essen, doch finde nur überteuerte Touristen-Fallen. Außerdem beginnt es zu regnen. Ein kleiner Kiosk wird meine Rettung. Mein Abendessen besteht aus Kochbananen-Chips, einer Tüte Bohnenmus und ein paar Oreo-Keksen.