Eine Breite Straße, von Palmen und endlos verkabelten Stromleitungen gesäumt. Sofort fühle ich mich wohl. Der Reisebus bringt mich zum zentralen Bus-Terminal in Canún. In einem klapprigeren Exemplar fahre ich vom Stadtzentrum nach Canún Beach, der Halbinsel im Meer, auf dem die ganzen Hotels angesiedelt sind. Ich lasse mich in den Plastik-Sitz fallen. Neben mir nimmt ein kleines mexikanisches Mädchen Platz, das mich zuerst mit großen Augen mustert und mir dann ein Lächeln schenkt. An der nächsten Haltestelle steigt eine ältere Frau ein – eine Straßenhändlerin, die selbstgemachte Armbänder aus Natur-Steinen anpreist. An der nächsten Station kommt eine Gruppe junger Leute in Badehosen und Bikinis dazu. Sie sind ausgelassen, in Feierlaune. Eine von ihnen hat eine überdimensional große Musik-Box dabei, aus der der Reggaeton dröhnt. Ihre Freundin hält ein Bier in der Hand, der Rand der Dose vom lilafarbenem Lippenstift eingefärbt.

Es dämmert bereits, als ich bei meinem Hostel ankommen. Ich werfe meinen Rucksack aufs Bett, mich selbst in einen Badeanzug und eile dann sofort zum Strand. Bevor es dunkel wird, will ich mich wenigstens für einen kurzen Augenblick in die Wellen werfen.

Die Sonne geht unter, stattdessen erleuchten die hohen, schlanken Hotelbauten die Nacht. Die Hängematten auf der Dachterrasse des Hostels wehen im Wind. 28 Grad im November. Das Glas, in dem mir der Kellner meinen Fruchtsaft serviert, ist größer als mein Kopf. Beim ersten Schluck weiß ich, dass mein Leben in den kommenden Tagen mindestens so süß wie das Getränk sein wird.

Ich verliere mich. Die Wellen umspülen meine Füße, die Sonne brennt auf meiner Haut und ich könnte ewig weiter am Strand entlanglaufen. Doch nach einer Weile brauche ich ein Getränk. Wieder zurück zur Straße zu gelangen, stellt sich als Herausforderung dar. Denn nahezu der ganze Strand gehört zu den Hotels oder Ferienappartements. Nur ein paar wenige Stellen entlang des kilometerweiten Streifens sind öffentlich zugänglicher Strand. „Wie weit ist es noch bis zum nächsten Ausgang?“, frage ich einen Señor, der Sonnenbrillen verkauft. Es sind vier Kilometer. Ich drehe lieber um.

Alejandra begrüßt mich herzlich. Wir hatten uns zuvor über Couchsurfing verabredet. Nachdem wir uns in die Arme genommen und zwei Flaschen Cola für den Weg gekauft hatten, flanieren wir an der Hauptstraße entlang. Wir kommen vorbei an Dominos und Starbucks, ATMs und Pharmacys, selbst eine Shopping Mall ist am Ende der Halbinsel errichtet worden. Am anderen Ende häufen sich Clubs und Bars, die mit Corona und Tequila locken. Miami oder Mexiko? Cancún Beach erweckt den Eindruck einer US-Kolonie. Wir setzen uns in das Restaurant meines Hostels. Meine Gesprächspartnerin bringt mich ständig zum Lachen mit Geschichten aus ihrem Leben zu einer Zeit, als sie auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet hat. Ich probiere von ihrem typisch mexikanischen Getränk, einem Michelada: Bier mit Soja- und Worcestershire-Soße, Limette und Salz – eine Mischung, die es nicht unbedingt in die Top Ten meiner Lieblingsgetränke schafft.


Im Bus zurück ins Stadtzentrum. Mit mir fast ausschließlich Hotelangestellte auf dem Heimweg, die vor Müdigkeit bereits einschlafen. Ich komme am hektischen Bus-Terminal an und erkunde ein paar Straßenzüge. Überall dröhnt mir der Reggaeton entgegen – Bad Bunny regiert Lateinamerika, ein ungeschriebenes Gesetz. Ich mische mich unter die Passanten, komme vorbei an Taco-Ständen, an denen Einheimische ihren Feierabend-Snack einnehmen. Vorbei an einem großen Platz, auf dem Kinder Fangen spielen. Vorbei an Schildern, die für Corona-Tests werben und von der Sonne ausgeblichen sind, wie aus einer längst vergangenen Zeit. Cancún Centro fühl sich richtiger an, mexikanischer.

In lande in einer winzigen Imbissbude, vor der Plastikstühle -und Tische stehen, bedeckt mit kitschig gemusterten Tischdecken. Vater und Mutter stehen in einer kleinen Kochnische, der Sohn bringt das Essen, die Großmutter sitzt in der Ecke und führt das Kassensystem von Hand. Das Geld kommt in eine der altmodischen, blauen Kassen aus Metall, wie wir sie als Kinder für den Flohmarkt verwendet haben.


Ich sitze am Pool meines nächstens Hostels, bereits im Schlafanzug – für ein Bier bin ich aber noch zu haben. Ein Mexikaner, der lange Zeit in den USA gelebt und nun wieder in die Heimat gezogen ist und ein Kolumbianer, der gerade auf seiner ersten Auslandsreise ist, haben mich eingeladen. Weil die Inflation in Kolumbien so hoch und er mit den Preisen in Mexiko noch nicht vertraut sei, habe man ihn auf der Taxifahrt vom Flughafen zur Unterkunft übel abgezockt, erzählt der Kolumbianer, der Einheimische nickt. Obwohl er noch kaum etwas von der Welt gesehen hat, gebe es für ihn keinen schöneren Ort als Kolumbien. Er schwärmt in den schillerndsten Tönen von seinem Herkunftsland, untermalt seine Erzählungen mit Bildern von Wäldern, Bergen und Wasserfällen. Er selbst komme vom Land – so wie ich eigentlich auch, denke ich und sofort erscheint die Einfamilien-Reihenhaus-Siedlung in meinem Kopf, in der ich aufgewachsen bin. Dann zeigt er mir sein Elternhaus. Eine rudimentäre Hütte aus Stein. Keine Türen, keine Fenster, keine abgetrennten Räume. Wie merkwürdig, dass wir trotzdem auf dem gleichen Planeten groß geworden sind.