Mexiko / Yucatán: Hochpreisige Erleuchtung an jeder Ecke – eine Radtour durch Tulum

Es hat abgekühlt über Nacht, ist mein erster Gedanke, als ich morgens die gemütliche Schlafkoje meines Hostels verlasse. Es hat geregnet und in den Pfützen auf der breiten Hauptstraße von Tulum spiegeln sich die Palmen und die wenigen Spaziergänger, die an den noch geschlossenen Läden vorbeiflanieren. Um acht Uhr morgens wacht die Stadt gerade erst auf. Ich hätte länger schlafen sollen. Doch ich wache immer mit der Sonne auf. Aus der Sonne ziehe ich meine Energie. Die Energie, heute zum letzten Mal einen neuen Ort zu erkunden, bevor ich die zweite Woche meiner Reise im Yoga-Retreat verbringe. Zwiegespalten. Ich bin traurig, dass die Zeit, in der ich Mexiko erkunden konnte, schon zu Ende geht. Dass ich nur einen kleinen Teil des Landes kennenlernen, einen kurzen Einblick in die mexikanische Kultur erhaschen konnte. Dennoch bin ich unendlich dankbar dafür, in den wenigen Tagen so viel gesehen, gehört, erlebt zu haben und so viele besondere Menschen getroffen zu haben.

Hauptstraße von Tulum mit Regenpfützen

Buntes Kunstwerk an einem Haus in Tulum. Es zeigt eine Frau im Bikini, die einen Astronauten küsst.

Von Tulum habe ich während der vergangenen Woche verschiedenste Meinungen gehört, die von „der coolste Ort in Mexiko“ bis hin zu „voll mit reichen weißen Amis“ gereicht haben. Auf den ersten Blick kann ich keines der beiden Extreme ausmachen. An der mit Palmen gesäumten Allee reihen sich Souvenirshop, die überdimensionale Traumfänger verkaufen an Smoothie-Bars, dazwischen prangen Wandgemälde. Mein Favorit ist das Bild einer Frau, die einen Taucher mit einem rostbraunen Helm auf dem Kopf küsst. Tulum ist wenig Publeo und viel hippe Ciudad.

Geschlossene Pizzeria in Tulum

Bunt bemaltes Haus in Tulum

Kurz überlege ich ernsthaft die sechs Kilometer bis nach Tulum Beach – wo ich den Strand vermute – zu Fuß zurückzulegen. Doch die vielen Radfahrer, die an mir vorbeidüsen, belehren mich eines Besseren. Ich marschiere in einen der zahlreichen Fahrrad-Verleihe und verhandele mit dem Inhaber, der zuerst darauf pocht, die Gefährte nur für 24 Stunden zu vergeben, einen Halbtagestarif. Ich darf auf eines der leuchtend orangefarbenen Räder steigen, packe meinen Rucksack, der aufgrund diverser tropischer Früchte, die ich zuvor in einem Supermarkt erstanden habw, ohnehin zu schwer für meine Schultern geworden ist, in den Korb am Lenker. Dann trete ich in die Pedale – und spüre sofort dieses Gefühl von purer Freiheit in mir aufsteigen. Das Rad ist in einem wunderbaren Zustand und fährt fast von selbst über den asphaltierten Fahrradweg, der geradewegs nach Tulum Beach führt. Ich rase an den Palmen vorbei, die sich nach und nach verdichten und fast schon ein Dach über mir bilden. Mittlerweile heizt die Sonne die Luft um mich herum wieder gewaltig auf. Der Schweiß rennt mir über das Gesicht, in dem mein enthusiastisches Lächeln wie festgetackert wirken muss. Ich fahre an den Hotel-Burgen vorbei, dann am öffentlichen Strand. Ein raues, wildes Stück Küste, auf dem die Einheimischen im Sand sitzen.

Öffentlicher Strandabschnitt in Tulum

Mit Palmen gesäumte Straße in Tulum Beach

Jetzt verstehe ich, was die anderen Reisenden mit „coolster Ort“, „überteuert“ und „hippie“ gemeint haben. Entgegen dem Namen besteht Tulum Beach zwar aus einem langen Strand-Abschnitt, doch um dort hinzukommen, muss man in der Regel bezahlen. Der Blick auf den Ozean ist verstellt von hochpreisiger Spiritualität. Wer ein Vermögen besitzt, kann sich in Tulum offensichtlich die Erleuchtung kaufen. An den entsprechenden Angeboten fehlt es nicht: Yoga, Reiki, Klangschalentherapie, Dampfbad. Davor kann man sich in edlen Klamottenläden für mehrere Hundert Dollar das passende Outfit kaufen. Weite Hosen, Häkeltops und fließende Kleider auf Schaufensterpuppen mit Sixpack. Untergebracht sind die Geschäfte, genau wie die vielen Restaurants und Cafés, in einfach anmutenden Holzhütten, zwischen denen ATMs eingeklemmt sind. Dass man überall mit Dollar bezahlen kann, versteht sich von selbst. Auf der Speisekarte der Lokale steht Eis aus gefrorenen Bananen, – in der Instagram-Welt als Nicecream bekannt – Tacos mit Falafeln, neapolitanische Pizza und Poké Bowls. Nicht, dass mir nicht auch das Wasser im Mund zusammenläuft, aber bei den Preisen bleibt mir den Appetit im Hals stecken. Die Touristen, die hier in den Botique-Hotels absteigen, haben damit sicher kein Problem. Ich bleibe kurz an dem bekannten „Follow that dream“-Schild stehen und atme den lieblichen Duft des brennenden Palo Santo-Holzes ein, das in einer leeren Weinflasche steckt.

"Follow that dream"-Wegweiser in Tulum Beach

Kleines Kind sitzt auf einem Verkaufsstand

Keine zwei Sekunden bin ich vom Sattel abgestiegen, als eine Frau auf mich zukommt. „Leist du mir dein Fahrrad?“, fragt sie und drückt mir zeitgleich ihr Handy in die Hand. Mit meinem orangefarbenen Flitzer posiert sie vor dem Schild. Ich knipse aus jedem erdenklichen Winkel. „Follow that dream“, lese ich noch einmal, bevor ich auf dem Rad umdrehe. Ich habe wenig Lust, noch einmal in Tulum Beach anzuhalten und radele zurück ins Stadtzentrum. Von einem alten Herrn am Straßenrand kaufe ich jeweils einen Becher frische Ananas und frische Mango. Ich lasse mir das süße Obst auf der Zunge zergehen. Anschließend begebe ich mich auf die Mission, eine letzte Horchata zu finden. Ich finde sogar eine Dirty Horchata, will sagen, mit einem Shot Espresso. Während ich das kühle Getränk über mein Reisetagebuch gebeugt schlürfe, spricht mich ein Kalifornier an. Mit einem der beiden Sätze, mit denen Menschen aus Kalifornien üblicherweise ein Gespräch beginnen: „You have sweet energy“ und „you remind me of a friend of mine“. Er ist kurz vor der Abreise und war zwar nicht auf Sinnsuche, aber hat ebenfalls sehr viel Yoga praktiziert. Wir verabschieden uns, ich hole mein Gepäck und bin nun selbst auf dem Weg zum Yoga-Retreat. Bereit für die innere Einkehr.

Baumstumpfe im Wasser, die zu einer Cenote führen

Mit bunten Textilien abgedecktes Temezcal-Zelt vor einem Lagerfeuer

Von da an erwarten mich Tage mit Meditationen zum Sonnenaufgang, schweißtreibenden Yoga-Einheiten neben einer Cenote und lehrreichen Workshops. Abends versammelt sich die Gruppe – zwölf junge Frauen aus der ganzen Welt – für Entspannungseinheiten oder Kakao- und Vollmondzeremonien am Lagerfeuer. Beim Temezcal, einer traditionellen Dampfbad-Zeremonie und bei einem Ausflug zu den historsichen Pyramiden von Tulum, erhalten wir Einblicke in die Lebensweise der indigenen Hochkulturen Mexikos. Neben Sophia und Tiana, den beiden Yogalehrerinnen, die das Retreat veranstalten, ist auch Emma, eine junge Köchin aus Frankreich, dabei, die uns täglich mit drei veganen Mahlzeiten (und Desserts!) verwöhnt. Die Tage sind eine Mischung aus Denk-Anstößen, Abenteuern und viel Gelächter, aus dem neue Freundschaften erwachsen. Viel zu schnell müssen wir uns wieder voneinander verabschieden.

Blick auf die Maya-Ruinen in Tulum

Mit Palmen zugewucherte Unterkunft des Yoga-Retreats

Laura

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