Wie ein endloses, silbernes Band zog Loch Ness an mir vorbei. Ich konnte meinen Blick kaum vom Fenster lösen. Die Landschaft hatte mich vollkommen in den Bann gezogen. Bereits wenige Minuten, nachdem wir Aviemore mit dem Bus verlassen hatten, waren wir mitten in der Natur. Fuhren zunächst durch karges, von Gras und Heidekraut bedecktes Hochland und dann entlang des berühmten Sees, den wir nahezu vollständig umrundeten. Das Monster von Loch Ness haben wir zwar nicht gesehen, dafür findet man den Mythos in jeder erdenklichen Form kommerzialisiert: Nessie-Museum, Nessie-Guesthouse, Nessie-Souvenirläden, Nessie-Bootstouren.


Während wir uns in unseren Sitzen zurücklehnten, fand draußen wieder das typisch schottische Wetter-Spiel statt. An einem sonnigen Tag zieht plötzlich eine Front düsterer Wolken auf, regnet sich ab und macht dann der Sonne ganz selbstverständlich wieder Platz macht. Wie ein eingespielter Kampf, in dem es niemals einen Sieger geben wird. Als wir an unserem Ziel, Fort William, ankamen, war das Wetter ausnahmsweise beständig. Nicht warm, aber trocken. Das kleine, charmante Örtchen besteht aus einer lebhaften Hauptstraße, in der sich Cafés, Pubs, Buchhandlungen und Klamottenläden aneinanderreihen, wenigen Seitenstraßen und einer Promenade am Wasser. Boote schaukelten im Wasser, in der Ferne, erhoben sich grüne Hügel. Wir bezogen unsere etwas zwielichtig wirkende Unterkunft, die sich aber immerhin in bester Lage, mitten auf der Hauptstraße, befand.



Anschließend liefen wir Richtung Glen Nevis, das Tal am Fuße des Ben Nevis, dem höchsten Berg des Vereinigten Königreiches. Der gigantische Felsbrocken lugte unter der grauen Wolkendecke hervor und erweckte in der dunklen Atmosphäre einen unheilvollen Eindruck. Im Kontrast dazu ertönte von allen Seiten zufriedenes Mähen: Schafe, eingezäunt von Steinmauern, trabten gemächlich über die leuchten grünen Wiesen. Mein Bruder und ich machten uns an den Aufstieg, der uns überraschend leichtfiel. Obwohl es sich um den höchsten Berg des Landes handelt, ist der Weg nach oben gut zu bewältigen.



Auf dem breiten Pfad gab es keine steilen Anhöhen. Große Felsbrocken, die sich wie natürliche Treppenstufen in die Landschaft einfügten, erleichtern den Aufstieg zusätzlich. Da es jedoch schon Abend war, als wir am Ben Nevis ankamen und der Sonnenuntergang näher rückte, wanderten wir nicht bis zum Gipfel, sondern drehten nach einer Weile um. Auf einer Holzbank legten wir einen Rast ein und blickten über die endlose Weite des Hochlandes. Ein Gefühl von glücklicher Freiheit stellte sich in mir ein. Ich beneidete die Vögel, die über der wilden, rauen Natur ihre Kreise zogen.



Den Abend verbrachten wir auf verzweifelter Suche nach Wlan – das es in unserer Unterkunft nicht gab – und landeten in einem urigen Pub. Bei Bier und Espresso Martini beobachteten wir die übrigen Gäste. Ein paar Freunde verfolgte gebannt ein Eishockey-Spiel und feierten den Sieg ihres Teams mit Shots. Zwei Ehepaare ließen sich Pommes schmecken. An der Bar saßen älterer Herren, die wohl zum Inventar des Ladens gehören. Je später die Stunde, desto mehr Menschen strömten in die Bar. Als ob sich das ganze Dorf dort treffen würde. Die Leute lachten, spielten Billiard und tanzen zum Indie-Rock, den der Barkeeper immer lauter drehte.

