Couchsurfing Story #2: Anton – „Total Chaos, aber trotzdem spielt alles zusammen“

Anton lernte ich in der Südkoreanischen Hauptstadt Seoul kennen. Über Couchsurfing hatten wir uns verabredet, um das Party- und Studentenviertel Hongdae zu erkunden. Am Treffpunkt angekommen, der U-Bahn-Station Hongik University, war ich völlig überfordert von den Menschenmassen, die mit mir aus der Bahn stiegen. Wahllos entschied ich mich für einen der neun Ausgänge und fragte mich, wie ich Anton jemals finden sollte. Meine Sorge war unbegründet: Ich erkannt ihn schon von Weitem, ein Energiebündel, das mit seinem pinken Tank-Top um die Wette strahlte. Der Kanadier hatte gerade Semesterferien und die freie Zeit genutzt, um nach Hawaii, Thailand und Südkorea zu reisen. Sein gebräunter Teint ließ mich wie ein Gespenst neben ihm wirken.

My Couchsurfing friend Anton and me

In einem Kiosk holten wir uns Soju, das koreanische Nationalgetränk, ein Destillat aus Reis. Pur schmeckt das Getränk ein wenig wie Vodka, doch es gibt ihn auch in verschiedenen Geschmacksrichtungen wie Ananas oder Grapefruit. Dann schmeckt Soju eher wie eine süße Limo – und kann schnell zum Verhängnis werden. Während wir gemütlich unseren Soju tranken, mischten wir uns in die Menge, liefen die hell erleuchteten Straßen mit ihren leuchtenden Reklame-Tafeln ab. Geschäfte reihten sich an Restaurants, in denen sich die Koreaner zum Feierabend trafen. Wenig später begegneten wir ein paar anderen Reisenden aus den USA, den Niederlanden, Schweden und gingen gemeinsam in eine Bar, wo sich auch ein paar Einheimische uns anschlossen. Als Gruppe zogen wir schließlich in einen Club weiter. Eine von vielen Party-Nächten in der Zehn-Millionen-Metropole.

Night in Seoul

Mit einem ordentlichen Schädel am nächsten Tag war ich kaum zu etwas anderem in der Lage als einem kurzen Spaziergang. Doch am folgenden Tag wollten Anton und ich auf Erkundungstour gehen. Wir planten eine Wanderung zum Seoul Tower, der auf dem Berg Namsan liegt und als Wahrzeichen über die Hauptstadt wacht. Während des Aufstiegs verwandelte sich die Betonwüste der Stadt in einen ruhigen, dunkelgrünen Wald. Im Turm angekommen, bot sich uns ein spektakulärer Blick über die Metropole: Schlanke Hochhäuser, die sich in den Himmel reckten, kleine Häuschen, dicht aneinandergequetscht und großflächige Anwesen mit luxuriösen Villen. Der Verkehr, der durch die pulsierende Stadt rast. Millionen Autos und Einheimische, die sich geschmeidig durch den Großstadtdschungel schlängelten. Rund herum mächtige Berge, die die Metropole wie ein Schutzwall  umgeben.

View from the Seoul Tower

„Das war mein Lieblingsmoment der Reise“, erzählte Anton mir im Nachhinein. „Diese gewaltige Stadt, umgeben von Bergen und wir mittendrin“, beschreibt er und wird fast schon poetisch: „Totales Chaos dort unten, trotzdem spielt alles perfekt zusammen.“ Die Symphonie der Großstadt, die für ihn wie ein Wasserfall klingt, wenn er die Augen schließt. Wenig später stürzten wir uns wieder ins Getümmel und fanden einen Street Food-Stand, der veganes Essen – sehr rar in Südkorea, wo Fleisch und andere tierische Produkte ein elementarer Bestandteil eines jeden Gerichts sind – anbot: Frittierte Teigtaschen mit Glasnudeln und Gemüse gefüllt. Mit Abstand das Leckerste, das ich dort gegessen habe.

Street food in Seoul

Während wir langsam und vorsichtigen an unserem brennheißen Snack knabberten, machten wir uns auf dem Weg zu einem Tempel. Doch der Himmel zog sich plötzlich zu und wenig später schüttete es wie aus Eimern. Wir retteten uns erst einmal in einen Coffeeshop, in dem wir die einzigen Kunden waren. Die Verkäuferin holte plötzlich einen Regenschirm unter dem Tresen hervor und kam damit auf uns zu. Wir nahmen bereits an, dass sie ihn uns aus Mitleid schenken würde. Weit gefehlt: Die Dame lief an uns vorbei und brachte den Schirm in einen Nebenraum. Nachdem wir uns vor Lachen ausgeschüttet haben, fragten wir ganz höflich, ob wir ihr den Schirm abkaufen könnten – und bekamen ihn dann doch umsonst. Trotzdem brauchten wir noch eine ganze Weile, um am Plast anzukommen. Dort stellten wir fest, dass dieser geschlossen war. Erneut brachen wir in Lachtränen aus.

Couchsurfing friends at the Seoul tower

Unsere nächste Begegnung ein paar Tage später ging mindestens genauso komisch weiter: Wir trafen uns am frühen Nachmittag an einer U-Bahn-Station im Viertel Insadong. Anton stellte erst einmal fest, dass er vor lauter Eile seine Zahnbürste mitgenommen hatte – sie steckte in seiner Hosentasche. Gemeinsam schauten wir uns dann einen Tempel an. Wir bestaunten die bunt bemalten Ornamente und lauschten einer Gruppe von Koreanern, die zusammen auf dem Boden knieten und einen melodischen Gesang angestimmt hatten. Anschließend flanierten wir noch durch das Viertel, schauten uns traditionelle Holzmasken und Essstäbchen in Souvenirläden an und sprachen über unsere Zukunftspläne. Anton studierte gerade im letzten Semester Maschinenbau und wollte dann am liebsten nach China ziehen, um dort als Englischlehrer zu arbeiten. Ich träumte von einer großen USA-Reise.

Temple in Seoul

Nach einem Mittagessen stolperten wir zufällig in eine Kunstgalerie, die Werke von Banksy ausgestellt hatte. Zum Sonnenuntergang spazierten wir noch ein Stück den Cheonggyecheon entlang. Ein Fluss, der sich mitten durch die Stadt zieht und an dessen Ufer zahlreiche Grünflächen und Parks angelegt worden sind. Eine Ruheoase in der Zehn-Millionen-Metropole. Wir verabschiedeten uns, doch stürzten uns am folgenden Tag noch einmal so richtig ins Nachtleben von Seoul.

Cheonggyecheon stream in Seoul

Sowohl Anton als auch ein paar andere Reisende besuchten mich am nächsten Abend in meinem Hostel, wo wir erst gemütlich zusammensaßen. Da es mein letzter Abend war, wollten wir es nochmal so richtig krachen lassen. Wir aßen erst gemeinsam zu Abend und machten uns dann auf den Weg Richtung Hongdae. Wir steuerten den ersten Club an, dessen Musik uns zum Tanzen einlud. Nachdem wir uns eine Weile auf der Tanzfläche bewegt hatten, begleitete ich ein Mädchen aus meinem Hostel zur Toilette. Doch dann verschwand sie auf einmal von der Bildfläche. Mit einem anderen Reisenden aus meinem Hostel begab ich mich auf die Suche nach ihr. Dann teilten wir uns auf – und plötzlich konnte ich auch sie nicht mehr wiederfinden.

Busy street in Seoul

Bevor ich mich frustriert auf den Heimweg machte, fand ich Anton wieder. Der Einzige, der von meiner Truppe übrig geblieben war! Mittlerweile ging am Horizont die Sonne auf und wir beschlossen, noch ein wenig durch Hongdae zu laufen und über das Leben zu philosophieren. Zwei betrunkene Studenten, die von der perfekten Welt träumten. Wir endeten in einem Barbecue-Restaurant – um sieben Uhr morgen. Während Anton ordentlich Essen in sich reinschaufelte, war ich mit ein paar Gläsern Wasser zufrieden. Wir verabschiedeten uns mit einer herzlichen Umarmung.

Anton with typical Korean food

Ziemlich genau zwei Jahre später erfüllte ich mir den Traum der großen USA-Reise. Unter anderem legte ich einen Stopp in Antons Heimat, Toronto, ein. Glücklicherweise hatte er sein Vorhaben noch nicht in die Tat umgesetzt und war nach Ende seines Studiums in Kanada geblieben, wo er gerade in einem Restaurant jobbte. Es war ein unglaublicher heißer September-Tag und ich mit einem anderen Couchsurfer aus Frankreich unterwegs. Im Kensington Market District, dem angesagtesten Viertel der Stadt, warteten wir auf Anton. Wir hatten uns gemütlich auf den Bordstein gesetzt, teilten uns zwei Cupcakes in der Mittagssonne und lauschten einem Straßenmusiker, der fröhlichen Jazz spielte.

Kensington Market District

Sobald ich Antons leuchtendes Shirt – weinrot dieses Mal – erblickte, rannte ich auf ihn zu uns verpasste ihm damit erst einmal einen gewaltigen Schock. Doch der wich dann direkt der Wiedersehensfreude. Er führte uns dann durch seine Stadt. Wir schauen uns zusammen den Yonge Dundas Square an, ein lebhafter Platz, der von Leuchttafeln und Hochhäusern umgeben ist. Dann das Kontrastprogramm: Das historische Distillery District. Ein Industrie-Viertel, geprägt von Kopfsteinpflaster und Backsteinbauten. Wir stöberten in ein paar Souvenir-Läden und brachten uns ständig gegenseitig zum Lachen. Da wir so viel Spaß hatten, beschlossen wir, statt am Abend auszugehen, einfach nur entspannt bei Anton abzuhängen.

Couchsurfing friends in Toronto

Praktischerweise gab es einen Liquor Store direkt gegenüber von Antons Haus, wo wir uns für später eindeckten. Seine Wohnung teilte er sich  damals mit seinem besten Freund, der wenig später zu uns dazustieß. Mit dem Fahrstuhl fuhren wir in den 30.Stock. Der Anblick verschlug mir die Sprache! Durch die riesigen Glasfenster strömte das goldene Herbstlicht in die Wohnung und von dem riesigen Balkon hatte ich das Gefühl, ganz Kanada überblicken zu können. Hinter uns lag die Stadt mit ihren Hochhäusern und Bürogebäuden und vor uns erstreckten sich der weite Lake Ontario und zahlreiche Wälder, die sich bereits orange, rot und gelb verfärbten.

View from Anton's apartment in Toronto

Wir blieben dann auch direkt auf dem Balkon sitzen, unterhielten uns weiter und öffneten die ersten Flaschen Wein. Schon bald verfärbte sich der Himmel im Sonnenuntergang rosa und blassblau. Wir hatten aufgehört, unsere Drinks zu zählen, lachten dafür umso mehr und bestellten uns schlussendlich noch zwei große Pizzen. Anton servierte uns sogar noch Verdauungs-Espressi hinterher. Während sich der Abend so dem Ende zuneigte, fragten wir uns, wann und wo wir uns wohl das nächste Mal sehen würden. Schulterzuckend blickte ich in meine leere Espresso-Tasse, als könnte der Kaffeesatz es mir verraten. Wobei es sicher viel spannender ist, wenn es bis dahin ein Geheimnis bleibt.

Drinking Espresso

Vielleicht dann in China. Denn dort will Anton immer noch hin. Aber zwischendurch hat er eine Leidenschaft fürs Programmieren entdeckt und sich deshalb entschlossen, ein zweites Studium hinterherzuschieben. „Mit dem Job kann ich dann überall auf der Welt arbeiten“, erzählte er mit kürzlich am Telefon. Ich konnte sein Grinsen und die Abenteuerlust aus seiner Stimmer heraushören.

Laura

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