Schon von Weitem konnten wir aus den Fenstern der kleinen Transporter unsere Gastgeberinnen erspähen. Die Frauen, die uns erwarteten, waren in rote Kleider gehüllt und an Hüften und um den Hals mit zahlreichen Ketten aus Muscheln und Samen behängt. Bei jedem Schritt erzeugte der Schmuck aus der Natur ein melodisches Klirren und Klappern. Bevor wir den „Bosque de las Nuwas“ (auf Deutsch: Der Wald der Frauen) betreten durften, hängten uns die Damen ebenfalls eine ihrer hübschen Kette und den Hals und verzierten uns mit ihrer traditionellen Gesichtsbemalung: Rote Punkte auf Backen und Kinn. Erst dann durften wir ihr Territorium betreten.


Bevor wir dort ankamen, mussten wir eine fast zweistündige Fahrt zurücklegen. Die Frauengemeinde lebt nämlich tief in der Natur des Regenwaldes. Unser Weg führt uns von der Schotterpiste vor der Yogaschule durch Moyobamba über mehrere Landstraßen entlang weiterer, lebhafter Ortschaften. Kleine Lebensmittelläden, Schönheitssalons, Klamottenläden und Auto-Werkstätten prägten das Bild. Ebenso chaotisch ging es im Verkehr zu. Motorräder, Lastwagen und klapprige Autos rasten wild durcheinander über den Asphalt. Schließlich bogen wir in ein letztes Dorf ab, passierten ein paar wenige Hütten und waren dann wieder in der unberührten Natur von Peru, umgeben von Palmen, Wäldern und Bergen. Es war der vorletzte Tag unserer Yogalehrerausbildung, an dem wir noch einmal vollkommen in die einheimische Kultur eintauchen durften.

Wir besuchten also die Frauengemeinde der Nuwas. Dabei handelt es sich um ein nachhaltiges Tourismus-Projekt, mit dem die Peruanerinnen die Bräuche der Ureinwohnergemeinde wieder aufleben lassen und für die Nachwelt festhalten wollen. Da dort ausdrücklich nur Frauen arbeiten dürfen, hat das Projekt zusätzlich einen feministischen Aspekt und unterstützt die Unabhängigkeit der Frauen. „Wir machen hier alles selbst und treffen eigenständige Entscheidungen, “, erzählte mir Roxy, eine der „Nuwas“ eine Weile später. Sie pflegen und bewirtschaften das gesamte Areal selbst. Was genau das bedeutet, sollten wir sogleich erfahren.

Denn als ersten Programmpunkt stand ein Buffet auf dem Plan. Auf einem langen Holztisch hatten die Frauen alle Arten tropischer Früchte drapiert, die sie in ihrem Wald anpflanzen. So konnten wir uns durch das gesamte Sortiment von Mutter Natur durchprobieren. Saftige Papayas, süßes Zuckerrohr, knackige Erdnüsse, goldgelbe Bananen und eine einheimische Traubenart sind nur ein paar der wenigen Leckereien, mit denen wir uns vollstopften. Dazu gab es einen schmackhaften Schoko-Ingwer-Tee, von dem wir fast alle am Ende eine Dose kauften. Die Damen sind nicht nur auf köstliches Obst spezialisiert, sondern auch auf Heilpflanzen.

Sie führten uns durch den Teil des Waldes, in dem sie die medizinischen Gewächse kultivieren und erklärten uns die Wirkungen der einzelnen Pflanzen. Ob Bauchweh, Regelschmerzen oder Fieber – die Peruanerinnen hatten für alles ein passendes Gegenmittel aus der Natur parat. Eines davon wendeten sie wenig später sogar bei unserer Freundin Jodi an. „Die Natur gibt uns alles, was wir brauchen“, erklärte mir Roxy wenig später, als wir am Ufer eines Flusses zum Stehen kamen. Während sich einige der Yogis ins kühle Nass stürzten, unterhielt ich mich mit der 30-Jährigen. „Sie hält mich jung und gesund“, fügt sie hinzu. Und offensichtlich auch wunderschön. Sowohl ihre makellose Haut als auch ihre braunen, mandelförmigen Augen schienen zu Leuchten. Ihr Gesicht war von dichtem, schwarzem Haar eingerahmt und ihr Lächeln entblößte strahlend weiße Zähne.

Seit zwei Jahren ist die Peruanerin Teil der „Nuwas“. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren zwei Kindern in Shampuyacu, dem Örtchen, das dem Wald am Nächsten ist. Jeden Morgen bereitet sie ihren zwei Söhnen im Alter von drei und fünf das Frühstück und die restlichen Mahlzeiten für den Tag vor, bevor sie sich dann aufs Motorrad schwingt und zur Frauengemeinde fährt. Um ihre Kinder, die den ganzen Tag alleine sind, macht sie sich wenig Sorgen. Ihre Motivation an dem Projekt teilzunehmen: Die Gemeinschaft und die Unabhängigkeit von Männern. Sie ist überzeugt davon, dass auch ihre Söhne, die so früh schon auf sich allein gestellt sind, dabei Unabhängigkeit lernen.

Die friedliche Stille der Natur wurde leider durch das allgegenwärtige Summen der Moskitos begleitet. Ständig waren wir damit beschäftigt, die nervigen Insekten abzuwehren. Das war auch während unserer Yogastunde nicht anders, die unsere Freundin Ciara anleitete. Kaum einer konnte sich auf die Bewegungen, geschweige denn den Atem konzentrieren, weil wir unter dauerhaftem Beschuss standen. Neben den Ketten nahmen wir also als Andenken auch zahllose, neue Stiche mit. Anschließend servierten die „Nuwas“ uns Mittagessen, erneut mit selbst angepflanzten Zutaten. Dabei gab es jedoch eine kleine Panne. Für uns war eine vegetarische Mahlzeit bestellt worden. Doch die Küche hatte zwei Töpfe durcheinandergebracht, weshalb bei uns plötzlich Hähnchenfleisch untergemischt worden war. Daraufhin hörte ich sofort auf zu essen und knabberte stattdessen weiter am Zuckerrohr. Die Frauen ermunterten uns, so viel von dem Obst einzupacken, wie wir wollten.


Zum Abschied kündigten unsere Gastgeberinnen an, ein Lied in ihrem Dialekt zu singen und einen traditionellen Tanz aufzuführen. Wieder einmal erklangen die Muscheln, Samen und Perlen an den Kleidern der Frauen. Schon bald hakten sie sich bei uns unter und wirbelten uns über den Rasen. Wir klatschten Beifall und lachten uns schlapp. Nach einer herzlichen Verabschiedung mit vielen Umarmungen latschten wir zu unseren Bussen zurück. Leider erwartete uns im Inneren nicht nur eine brüllende Hitze, sondern auch noch mehr Moskitos. Viel lauter als die Insekten war aber das Rasseln des Schmucks der „Nuwas“, das in meinem Kopf immer noch nachhallte.
