Antakya: Eine Kirche in einer Höhle und Cafés im Wasserfall

Wir stehen direkt am Fuß eines gigantischen Berges. Vor uns eine von Menschen errichtete Wand aus Steinen, in die ein paar wenige sternenförmige Fenster sowie drei Türen gehauen sind. Es ist der Eingang zu St. Petrus-Grotte. Einer der ersten christlichen Kirchen der Welt, die sich – wie der Name vermuten lässt – in einer Höhle befindet. Der Legende nach sind die Gläubigen an diesem Ort erstmals Christen genannt worden. Allerdings wurden sie damals von den Römern verfolgt. Die schwer zugängliche Kirche diente der Gemeinde deshalb auch als Versteck. Durch eine der Türen betreten wir die natürliche Höhle. Dunkelheit. Als sich die Augen an Finsternis gewöhnt haben, erscheint ein weißer Steinaltar vor mir, darüber eine Statue des Petrus, einer der zwölf Aposteln Jesu. Ansonsten ist der Raum leer, Mosaike bedecken den Boden neben dem Altar, dahinter dunkle Löcher, die noch weiter in den Berg hineinführen – mit einem Absperrband für die Besucher verschlossen. Über uns die beeindruckende, natürliche Felsendecke, von der immer wieder Wasser tropft. Damals hat man es aufgefangen und damit die Gemeindemitglieder getauft.  

Eingang zur St. Petrus-Grotte in Antakya

Blick auf den Eingang zur St. Petrus-Grotte in Antakya aus dem Inneren der Kirche

Altar der St. Petrus-Grotte in Antakya

Bei jedem Schritt droht das trockene Geröll unter meinen Füßen in die Leere zu rollen. Bei jedem Schritt erfasst mich eine kurze Panik-Welle. Wir bewegen uns langsam fort, entlang großer Felsbrocken arbeiten wir uns weiter bergauf vor. Auf der Suche nach Charon, ein in den Felsen gehauenes Gesicht. Es soll den Fährmann darstellen, der in der griechischen Mythologie die Toten in die Unterwelt gebracht hat. Tatsächlich scheint mir die Unterwelt gar nicht so fern bei dem Aufstieg entlang des steilen Abgrunds. „Können wir umdrehen?“, bettele ich zum wiederholten Mal. Doch er ist fest entschlossen, die Skulptur zu finden.

Blick auf die Stadt Antakya und die umliegenden Berge

Eine Enttäuschung. Charons Gesicht ist im Laufe der Jahre so verwittert worden, das kaum noch etwas davon übrig ist. Die ovale Gesichtsform, ein Hals, die Andeutung einer Nase, ein steinerner Umgang über dem Kopf – oder sind es Haare? Mehr ist nicht zu sehen. Wir gehen zurück. Schon wieder dieses knirschende Geräusch von Geröll, das den Hang herunterrutscht.

Skulptur des Charon: Ein in Fels gehauenes Gesicht

Neben uns plätschern zwei kleinere Wasserfälle über die Felsen. Wir sitzen an einem Tisch, mitten in dem natürlichen Becken, in dem sich das Wasser sammelt. Die Füße im kühlen Nass. Über uns ein schützendes Blätterdach. Der Kellner kommt mit den Speisen und stellt Hummus, Mahummara, frische Salate und warmes Brot auf unseren Tisch. Nur eines von vielen Restaurants und Cafés, die in die Wasserfall-Landschaft gebaut worden sind. Ein wunderschönes Natur-Phänomen mit einer traurigen Geschichte. Man sagt, die Wasserfälle seien aus den Tränen der Nymphe Daphne entstanden, die dort ihrer ewigen Liebe nachgeweint hat.

Stühle und Tische in den Daphne-Wasserfällen

Daphne Wasserfälle in Antakya

Wir spazieren durch die felsige Landschaft, überall fließen die Wasserfälle. Mal kleinere Rinnsale, mal riesige Kaskaden. Durch das Plätschern und Rauschen der Wassermassen dringt das Lachen der wenigen Gäste, die es an dem Montag im September noch hierher verschlagen hat. Über einen geschotterten Weg verlassen wir das mythische Wasserreich. Souvenirstände säumen den Pfad. Von einem alten, zahnlosen Mann, der auf Arabisch in seinen Bart murmelt, kaufe ich ein kleines Mitbringsel. Einen Kühlschrank-Magneten aus schwarzem Stein, der typisch für die Region ist. So glatt, als hätten Daphnes Tränen ihn geschliffen.

Mosaik-Kunstwerke an einem Souvenirstand in Antakya

Eines der vielen Restaurants in den Daphne-Wasserfällen in Antakya

Ich lehne mich an den Kerl aus Bronze, eine Hand in der Hüfte, in der anderen meinen Iced Americano. Ich ziehe eine alberne Grimasse für ein kurzes Erinnerungsfoto. Dann wenden wir uns von der Staute ab. Sie stellt einen Bäcker mit Künefe dar, eine Süßspeise, für die die Provinz bekannt ist. Noch kann ich mir darunter schwerlich ein wohlschmeckendes Dessert vorstellen. Die Mischung aus dünnen Teigfäden, Butter, Pistazien und Käse klingt in meinen Ohren wenig appetitanregend. Ich sollte eines Besseren belehrt werden.

Statue des Künefe-Bäckers in Antakya

„Ich habe auch mal in Hamburg gelebt“, erzählt uns der Obsthändler, während ich akribisch die reifsten Feigen heraussuche. Seine Ex-Frau lebe dort, ebenso wie seine Kinder. Dorthin zurück wolle er nicht, denn die Türkei sei sein Zuhause. „Aber jetzt, wo alles so teuer ist und man sich nichts mehr leisten kann, denke ich öfter mal an eine Rückkehr“, sagt er mit einem resignierten Unterton in der Stimme. Er packt die Feigen in eine Plastiktüte und nennt einen ­­– für unsere Verhältnisse – absurd günstigen Kaufpreis. Ein Einheimischer hätte sich jedoch niemals zehn Feigen leisten können. Mit etwas Glück vielleicht eine Halbe. Kein Wunder, dass die Türken scherzen, Obst und Gemüse sei aufgrund der Inflation inzwischen so teuer wie eine Monatsmiete.

Fußgängerzone von Antakya

Blick auf den Orontes-Fluss, der durch Antakya fließt

Über dem Kopfsteinpflaster hängen Lichterketten, die am Nachmittag noch ausgeschaltet sind. Die Fußgängerzone in Antakya ist sauber und voll mit hübschen, kleinen Läden. Wenig Menschen sind unterwegs, die Hektik, die ganz Istanbul prägt, ist weit weg. Wir biegen ab und landen wenig später in einem Künefe-Restaurant. Vierter Stock mit Blick auf den Orontes, der durch die Provinzhauptstadt fließt. Vereinzelt wachsen Palmen am Ufer. An einer Hausfassade bröckelt die Farbe einer alten, an die Wand gemalten Pepsi-Werbung ab. Mein Künefe kommt ohne Käse und Butter, dafür mit vielen Nüssen. Es schmeckt himmlisch. Mein Mojito kommt ohne Alkohol. Besser so, der Zucker aus dem Dessert knallt schon genug.

Mosaik aus der Römer-Zeit am Ufer des Orontes

Blick auf die Berge von Antakya

Ein letzter Spaziergang durch Antakya. Wir schlendern über eine der vielen Brücken, die den Fluss überspannen. An manchen Stellen sind Mosaike aus der Römerzeit erhalten geblieben. Ein kurzer Blick in eine längst vergangene Zeit, dann nach oben auf die Berge, die die Stadt einkesseln und im Licht der untergehenden Sonne leuchten.

Laura

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