„Gut, dass wir hier nicht viel Zeit eingeplant haben“, meinte ich, als wir Saranda wieder verließen. Dass der Ferienort nicht unbedingt in unser Urlaubskonzept von Abenteuer und authentischem Albanien passt, war uns von vornherein klar. Der Küstenort ist geprägt von Hotels und Ferienwohnungen, die in der Nebensaison Mitte Mai noch leer standen. In der Stadt war kaum etwas los. Nur wenige Restaurant hatten am Sonntagmittag geöffnet. Wir setzten uns in ein italienisches Lokal an der Hauptstraße. Entschuldigend erklärte der Inhaber, dass die Küche nur eine Handvoll der Gerichte, die auf der Karte standen, zubereiten könne. In der Nebensaison sei das Angebot reduziert. Nudeln mit Tomatensoßen gingen aber. Wir spazierten eine Runde am Kies-Strand entlang, wo mehrere Baustellen darauf hindeuteten, dass man gerade in der Vorbereitung auf den Sommer war.

Zwei weiße Säulen markieren den Eingang zur Ruinenstadt Butrint, einem Nationalpark im Süden des Landes. Gleich mehrere Hochkulturen haben hier ihr Spuren hinterlassen. Die antike Stätte liegt auf einer Halbinsel, umgeben vom Meer. Man kann entweder – wie wir – von Norden her über die Halbinsel fahren oder von Süden mit einer winzigen Fähre nach Butrint übersetzen. Gerade einmal zwei Autos haben auf dem kleinen Boot Platz. Der Eintritt in den Park ist kostenlos. Außer einer albanischen Schulklasse waren kaum Touristen zugegen. Wir flanierten entlang der gut erhaltenen Ruinen. An einem Amphitheater und einer Basilika vorbei, über ein römisches Forum bis hin zu einem Aussichtsturm, der uns aufs Wasser, auf grün überwucherte Inselchen und bis nach Griechenland blicken ließ.


Im Sommer vermutlich ein traumhaftes Fleckchen, gab der Strand von Ksamil Mitte Mai bei bedecktem Himmel einen trostlosen Anblick ab. Unsere Schuhe knirschten auf dem grobkörnigen Sand, als wir auf das Meer zuliefen. Liegen und Sonnenschirme standen sauber aufgereiht am Strand, als würden sie auf die Scharen warten, die ab dem kommenden Monat an die albanische Riviera strömen würden. In neu eröffneten Lokalen wischten Kellern die Tische, draußen schaufelten Bauarbeiter die letzten Reste der Baustellen zur Seite. Ein einsames Boot tuckerte durch das Wasser. Über einen Farbverlauf aus hellblau, türkis und dunkelblau. Der Kapitän bot an, uns auf eine der Inseln zu fahren, die sich vor der Küste aus dem Wasser erhoben. Für die kurze Tour mit Foto verlangte er so viel Geld, das wir davon mindestens drei Tage essen gehen könnten. Wir lehnten dankend ab.
Zum Schwimmen war es zu kalt, er zog sich aber die Schuhe aus und ließ die Füße im Wasser baumeln, malte unsere Initialen in den Sand, ein Herz darum herum.

Das letzte Stück nach Himare hatte es in sich. Jede Kurve enger und steiler als die vorherige. Doch der Weg hatte sich gelohnt: Wir kamen an einem einsamen Küstenabschnitt an, der – wie so viele Abschnitte der Riviera – für den Sommer aufgerüstet wurde. Unsere Unterkunft befand sich direkt am Meer. Wir verbrachten den Abend auf dem Balkon, lauschten dem Rauschen der Wellen und dem Gelächter, das von anderen Urlaubern zu uns nach oben drang.

„300 Leke, 300 Leke, 300 Leke“, fauchte die alte Dame mit dem Kopftuch, die über den Parkplatz watschelte und die Autos zu den freien Lücken zu dirigieren versuchte. Offensichtlich hatte die Einheimische sich den Parkplatz am Gjipe Beach, einem der schönsten Strände des Landes, zu eigen gemacht. Mürrisch drückte er ihr die Geldscheine in die Hand, bevor wir unsere Sandalen gegen Wanderschuhe tauschten. Das letzte Stück zum Strand war eher eine Wanderung als ein Spaziergang. Am Meer entlang führte ein steiniger Trampelpfad über rote Erde den Berg hinab. Trotz der abgelegenen Lage fanden sich entlang des Weges gleich mehrere Bunker aus der Zeit der Diktatur. Enver Hoxha, der das Land bis 1985 beherrscht hatte, litt unter der Angst, dass Albanien jederzeit von den Nachbarländern angegriffen werden konnte. Deshalb ließ er überall Bunker errichten. Über 170.000 soll es im gesamten Land geben.


Die Kulisse war atemberaubend: Links die endlose blaue Weite, rechts, im Landesinneren, erhoben sich gigantische Felswände – die Schlucht von Gjipe – Richtung Himmel. Nur eine Handvoll Touristen hatte es sich im Sand gemütlich gemacht. Eine Gruppe Spanier, ein Paar aus der Schweiz, britische Teenager. Nur wenige von ihnen trauten sich ins eher kühle Wasser. Wir setzten uns ans Meer. Die Holzbuden, die zur Urlaubszeit Snacks und Getränke verkaufen, waren im Mai noch geschlossen. Nachdem die Sonne sich hinter den Wolken hervorgeschoben und uns ordentlich aufgewärmt hatte, trauten wir uns auch ins Meer. Ohne viele Worte warfen wir uns in die Wellen. Nach wenigen Sekunden flüchteten wir jedoch zurück ans Ufer. Es war doch noch zu kalt. Als wir uns auf dem Rückweg zum Auto machten, fing es zu regnen an.


Wir waren die einzigen Gäste bei Barba Niko, einer Bäckerei mitten am Llogara-Pass, der Bergstraße, die entlang der Riviera führt. Während wir mit Spinat gefüllte Börek verspeisten, hüpften mehrere Spatzen um unsere Füße herum. Nach der kurzen Pause setzten wir unsere Fahrt Richtung Tirana fort. Die Aussicht – auf der einen Seite das Meer, auf der anderen Seite die unberührte Berglandschaft, dazwischen Küstenorten mit weiß gestrichenen Häusern – begeisterte uns restlos. Immer wieder hielten wir zwischendurch an, um Fotos zu machen – oder für Ziegen, Hunde und Pferde, die gemächlich die Fahrbahn kreuzten.


Tirana überforderte uns. Nachdem wir mehr als eine Woche in der Natur und in kleinen Städtchen verbracht hatten, kam uns die Hauptstadt zu geschäftig, zu lebhaft, zu riesig und chaotisch vor. Wir manövrierten uns durch mehrspurige Kreisel und über blinkende Ampeln. Den Wagen stellten wir in einem Parkhaus in der Nähe unserer Bleibe ab. Zu der Unterkunft mussten wir uns aber erst einmal durchfragen. Das „Hotel“ war im vierten Stock eines Hochhauses versteckt. Bei unserer Ankunft war dort niemand vorzufinden, allerdings stand ein frisch geputzter Raum mit zwei Betten offen. „Den nehmen wir einfach“, beschlossen wir, genervt und müde von der langen Fahrt und begierig darauf, uns endlich den Sand vom Körper zu spülen.

Als wir zum Abendessen aufbrechen wollten, stand plötzlich ein Mann bei uns im Zimmer. Er hatte in einem Café um die Ecke auf uns gewartet. Weil ich jedoch kein Internet mehr hatte, ist seine Nachricht nie angekommen. Er hatte eigentlich einen anderen, viel schöneren Raum direkt unter dem Dach für uns, sagte er. Peinlich berührt klaubten wir unsere Sachen, wie wir bereits im Zimmer verstreut hatten, wieder zusammen und zogen eine Etage höher.


Die Temperaturen waren mild und die Gassen voller Menschen. Auf Empfehlung eines Freundes kehrten wir im „Oda Garden“ ein, einem lokal mit wunderschönem, romantischem Hinterhof, in dem heute mehrere Volksmusikanten auftraten. Uns wurde ein Platz am Rand, direkt unter den Ästen einer ausladenden Baumkrone zugewiesen. Während wir auf unser Essen, das gegrillte Gemüse und den Raki, warteten, versuchten wir, im Takt mitzuklatschen.

Wir folgten der Street Art durch die Stadt: Ein gigantisches Bücherregal, das an der Wand eines Hochhauses prangte und viele, viele Sonnenblumen. Der Tag entwickelte sich zu einer verzweifelten Jagd nach Souvenirs, weil er auf den letzten Drücker noch Geschenke kaufen wollte. Auf dem großen Bazar, wo am Dienstag nur eine Handvoll Stände besetzt waren, wurden wir nicht fündig. Wir gingen weiter über den zentralen Platz der Stadt, den Skanderbeg-Platz, den ich ähnlich langweilig fand wie den Rest von Tirana. Eine leere, marmorgepflasterte Fläche mit einer Statue in der Mitte und einer Moschee, dem Uhrenturm und einigen Bäumen darum herum. Wir schwitzten in der Sonne und suchten weiter nach den gewünschten Mitbringseln. Stattdessen fanden wir eine große, grüne Wiese mit Liegestühlen, wo ein Mann aus einem Truck heraus Bier und Eiskaffee verkaufte.



Die drei Querstraßen (Rruga Ibrahim Rugova, Rruga Vaso Pascha und Rruga Sami Frasheri) machten tatsächlich einen coolen Eindruck. Cafés, Bars und Läden lokaler Designer reihten sich aneinander. Hier hätte ich mir vorstellen können, den Abend zu verbringen. Trotzdem war ich froh, dass wir so wenig Zeit in der Hauptstadt eingeplant hatten. Auf dem Rückweg zum Auto stolperten wir einen weiteren Bazar, auf dem hauptsächlich Klamotten, Schuhe und Taschen gehandelt wurden. In Mitte der Verkaufsstände fiel uns eine winzige Bude auf, aus der einige alte Damen frisch gebackenen Börek verkauften – zu 50 Cent pro Stück. Es duftete herrlich! Wir kauften vier Stücke und ärgerten uns, als wir die köstlichen Teigtaschen wenig später verspeisten, dass wir nicht noch viel mehr mitgenommen hatten. „Byrektore Albani“ hieß der Laden, wie ich später über Google Maps herausfand – das letzte Highlight, bevor mit dem Wagen an den Flughafen zurückfahren mussten.