Die nächste Bergstraße ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatten wir Berat verlassen, schlängelte sich die Straße wieder in Serpentinen nach oben. Ortsschilder, auf denen absurderweise Wolkenkratzer abgebildet waren, kündigten uns die Dörfer an, die wir auf dem Weg zur Osum-Schlucht durchqueren mussten. Hinter der Zivilisation wartete die wilde Natur. Über 13 Kilometer zog sich die Schlucht durch die Landschaft. Die Straße verlief direkt oberhalb der zerklüfteten Felswände, die sich stellenweise bis zu 80 Meter in die Tiefe stürzen. Eine einzelne Hütte, laut Google Maps ein Lokal namens „Summer Bar & Restaurant“, lag einsam, direkt am Fuß der Schlucht, in der Landschaft. Dort parkten wir neben einem Camper.

Wir folgten dem Wasser des Osum-Flusses, der zwischen den steilen Felswänden hindurchfloss. Über ein paar Vorsprünge in der Felswand kletterten wir ein Stück nach oben. Moose und Sträucher bedeckten den grauen Stein. In der Ferne kam eine verrostete Brücke in Sicht, die schräg zwischen den Felswänden zu hängen schien. Unter unseren Füßen fühlte sich das Konstrukt viel stabiler an, als es der erste Blick vermuten ließ. Auf der gegenüberliegenden Seite führten mehrere Wanderwege in die Höhe, bis auf die begrünten Felswände hinauf.

Die Pommes waren, wie so oft in Albanien, viel weniger Pommes als vielmehr Bratkartoffeln. In ordentlich Olivenöl geschwenkt und mit Salz und Kräutern bestreut. Wir saßen in der „Summer Bar“, blickten auf die Schlucht und genossen die Sonne auf der Haut, bevor wir zu unserer – sehr langen – Weiterreise nach Permet aufbrachen. Google Maps lotse uns nach einer Weile von der Asphaltstraße, steil bergab in Richtung einer größeren Brücke. Von dort eröffnete sich ein gigantischer Blick auf die Schlucht. Bei dem Gedanken, mit dem Wagen über die Brücke zu fahren, drehte sich uns allerdings der Magen um. Die Holzbretter, die das Metallgeländer zusammenhielten, machten nicht unbedingt einen vertrauenswürdigen Eindruck. Trotzdem fuhren wir darüber – und das gleich zwei Mal. Die Straßenverhältnisse waren so schlecht, dass wir umkehren mussten.

Entnervt suchten wir Google Maps nach einer alternativen Route ab. Ohne Erfolg. Wieder schickte uns die Navigation auf eine unbefestigte, kurvenreiche Schotterpiste. „Das packt unser Auto nicht“, waren wir uns einig. Ein entgegenkommendes Geländefahrzeug kam neben uns zum Stehen und ließ das Fenster runter. Wo wir hinwollten, fragte der Fahrer, der unsere verwirrten Gesichter wohl schon von Weitem gesehen hatte. „Nach Permet“, sagten wir ihm. „Da müsst ihr umdrehen und erst nach Berat zurückfahren. Mit dem Wagen kommt ihr hier nicht weiter“, erklärte er. Erst als wir umgedreht hatten, sahen wir das Hinweisschild, das am Anfang der Schotterpiste in den Boden geschlagen war. Es zeigte das Piktogramm eines Autos – in einem durchgestrichenen roten Kreis.

Zurück nach Berat, Kaffeepause, dann Richtung Permet. Aus zwei Stunden wurden fünf. Die Landschaft tröstete über das – im Vergleich zu anderen Vorkommnissen geringe – Ärgernis hinweg. Die saftig grüne Berglandschaft wurde immer einsamer, je näher wir Permet kamen. Bald waren nur noch Felsen, Bäume und Wiesen um uns herum; die Berge so hoch, dass sie das Sonnenlicht schluckten; die Straße, auf der wir uns fortbewegten, das einzige Zeichen von Zivilisation. Um die Zeit zu vertreiben, zählen wir die „Lavazhos“ („Waschanlagen“), die man fast schon als Wahrzeichen des Landes benennen könnte. Am Ende waren es etwa 30 Stück.

Alte Männer saßen Karten spielen vor einem Café. Gemüsehändler versuchten, die letzte Ware des Tages loszuwerden. Jugendliche tuckerten auf Mofas an uns vorbei. In der Kleinstadt war einiges los am Abend. Hand in Hand schlenderten wir durch die Gassen, entlang heruntergekommener, mehrstöckiger Sowjet-Häuser. Ein Kontrast zum Stadtzentrum. Hier ragten Hotels in den Himmel und neue. Moderne Gebäude, in denen Restaurants und Bars untergebracht sind, reihten sich aneinander. Der Boden war mit weißen Steinen gepflastert. Wir nahmen im Außenbereich des „Sofra Restaurant“ Platz.

„Habt ihr hausgemachten Raki?“, fragte er (schon wieder) den etwa 14-jährigen Jungen, der uns bediente. Auf sein einwandfreies Englisch war er offensichtlich sehr stolz und beantwortete uns gerne all unsere Fragen zum Essen und zum Lokal, das seinen Eltern gehörte. Neben dem obligatorischen Schnaps war er vor allem von den Bohnen in Tomatensoße begeistert. Nachdem er sie bei mit gekostet hatte, bestellte er sich selbst eine Portion und bestand darauf, dass ich von seinem Teller mitessen. Dazu bestellten wir Grillgemüse, Reis, Brot. Dem Jungen gaben wir ein ordentliches Trinkgeld.

Während wir am nächsten Morgen Petulla – frittierte Teigbällchen, die die Albaner als Pfannkuchen bezeichnen – in uns reinschaufelten, erklärte uns unser Gastgeber, wie wir zu den Thermalquellen kommen würden. Wir saßen in seinem Garten, vor uns zwei dampfende Espressi. Bevor wir uns auf die Natur machten, wollten wir uns Permet im Tageslicht ansehen. Entlang der Vjosa, dem letzten Wildfluss Europas, schlenderten wir durch einen Park zu einem gigantischen Felsen. Über mehrere Metall-Leitern konnten wir den meterhohen Stein erklimmen. Laut einer Legende soll sich Premt, der Herrscher der Region, mit seiner Tochter von dem Felsen gestürzt haben, als die Ottomanen im 15. Jahrhundert in die Stadt einmarschierten. Die Stadt sei nach ihm benannt worden.

Die Frau mühte sich mit mehreren Einkaufstüten ab. Auf ihren Rücken hatte sie zudem ein Kleinkind geschnallt. Ganz allein und vollbepackt lief sie die Landstraße entlang. Er hielt neben ihr an, ließ das Fenster hinab und bedeutete ihr, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen. Nach mehreren Erklärungsversuchen mit Händen und Füßen schien sie zu verstehen, dass wir sie mitnehmen wollten, und hievte sich in den Wagen. Sofort kramte sie aus einer ihrer Plastik-Beutel mehrere Handvoll Haselnüsse, die sich mir überschwänglich in die Hände drückte. Nach nur wenigen Metern hatten wir ihr zuhause erreicht – die Haselnüsse blieben bis zum Ende der Reise bei uns.

Wie ein himmelblaues Band floss die Vjosa zwischen den Felswänden der Lengarica-Schlucht hindurch. Ein dünne, graue Steinbrücke – ein Relikt aus der Zeit der Osmanen – verband die beiden Flussseiten miteinander. Die beiden Thermalbecken, gefüllt mit warmem Wasser, das sich stetig erneuert, hoben wir uns für später auf. Zuerst wollten wir die Schlucht nach oben wandern. Er hatte gelesen, dass es weiter oben noch mehr Quellen geben sollte. Wir folgten einem breiten Pfad die Felswand hinauf. Ein Hund mit dickem, weißem Fell hängte sich uns an die Füße. Bald keuchten wir alle drei in der sengenden Mittagssonne. Nach der erfolglosen Suche entschlossen wir uns, umzudrehen und endlich Baden zu gehen.

Wir entschieden uns für das kleinere Becken, das direkt unterhalb der Brücke im Felsen lag. Kleidung und Schuhe legten wir am Rand ab und kletterten vorsichtig über die nassen Steine ins Wasser. Das Wasser war perfekt. Erfrischend, aber nicht kalt. Die Temperaturen im Becken liegen immer zwischen 20 und 30 Grad. Ein Feigenbaum, dessen Krone sich über das Becken neigte, spendete zusätzlich Schatten. Mit der Stille war es leider nach wenigen Minuten vorüber, als eine Horde englischer Touristen sich zu uns gesellte. Wegen des Schwefelgehalts sollte man ohnehin nicht länger als eine halbe Stunde am Stück im Wasser liegen. Deshalb wechselten wir in das zweite, größere Becken. Mit Blick auf die Berge und die Schlucht lehnten wir uns an der mit Algen bewachsenen Wand zurück, die sich im Rücken wie eine kuschelige Decke anfühlte. Die Sonne kitzelte uns im Gesicht – und verbrannte uns die Haut, wie wir am Nachmittag feststellten.
