Der Inhaber des Lokals in Permet strahlte, als er uns wiedersah. Seine Kinder, die uns am Abend zuvor bedient hatten, waren vermutlich in der Schule. Wir bestellten das Gleiche noch einmal: Reis, gegrilltes Gemüse, Bohnen in Tomatensoße. Am Nebentisch saß eine Gruppe älterer Herren, die sich – der reich gedeckten Tafel zu urteilen – nicht nur die gesamte Speisekarte, sondern auf mehrere Flaschen Schnaps geteilt haben. Wir blieben bei Wasser, den Likör wollten wir uns für den Abend in Gjirokastra aufheben. Die Fahrt dorthin war ausnahmsweise kurz: Schon nach einer Stunde kamen die Hügel in Sicht, auf denen sie Altstadt thronte. Die weißen Häuser mit ihren Dächern aus graubraunen Steinen. Die „Stadt der tausend Steine“, eines der beliebtesten Ziele in Albanien.

In einem dieser Häuser war unser Hostel untergebracht. Eine blonde Frau mit leuchtend grünen Augen empfing uns. Die Unterkunft gehörte ihrer Familie. Zwei Hunde und ein Mädchen im Kindergarten-Alter tollten durch den Aufenthaltsraum. Das Kind, Vaselika war ihr Name, stürzte sich sofort auf meine mit silbernen Nieten besetzten Schuhe. „Sie liebt Glitzer“, erklärte ihre Mutter und musste lachen, als sie sah, wie ihre Tochter jeden der silbernen Steine berührte. Wir packten aus und erkundeten anschließend die Stadt. Zuerst aber musste er ein paar albanischen Schulkindern, die uns auf Englisch ansprachen, über ihre liebsten Fußballklubs ausfragen. Und er musste eine kleine Flasche Raki kaufen, von einer Einheimischen, die ihren Verkaufsstand abseits des großen Bazars vor einem leerstehenden Gebäude aufgestellt hatte.


Wir folgten dem Verlauf der gepflasterten Gasse und kamen in das Herz der Altstadt: Die vier Straßen, die den Bazar bilden. In nahezu jedem der weißen Häuser fand sich ein Lokal oder ein Souvenir-Laden. An den Fassaden hingen Tücher und Teppiche mit dem typisch albanisch-roten Muster. Vor den Läden hatten die Händler Kühlschrank-Magneten, farbenfrohe Keramik-Schalen und Fläschchen mit Olivenöl und Schnaps aufgestellt. Kinder und Touristen schoben sich durch die steilen Gassen. Wir konnten uns nicht sattsehen. Alles schien zusammenzugehören und zusammenzupassen. Eine gigantische Einkaufsmeile, eine große Gemeinschaft.


Wir klapperten alle Querstraßen ab und landeten schließlich in der Shisha-Bar „Babamento 2“, die Reggaeton spielte und historische Cocktails servierte. Anhand von neun verschiedenen Drinks erzählte die Menü-Karte die Geschichte der Stadt. Vor der Bar standen Stühle und Tische. Wir lümmelten uns aber auf die mit Kissen ausgelegte Fensterbank aus Stein. Darüber hingen Blumentöpfe und Lichterketten. Er versetzte seinen Drink heimlich mit einem Schluck Raki aus der Falsche, die wir zuvor gekauft hatten – und die noch für eine böse Überraschung sorgen sollte. Zurück im Hostel stellten wir fest, dass im Deckel ein kleines Loch war und fast der gesamte Inhalt in meiner Tasche ausgelaufen war. Wir entsorgten die fast leere Flasche. Und meine Tasche gleich mit dazu.

Trotzdem gab es den ersten Raki des Folgetages bereits um elf Uhr morgens, als wir uns zu einem frühen Mittagessen in einem der Lokale auf dem Bazar niedergelassen hatten. Wir saßen auf einem Balkon, überblickten das geschäftige Treiben und weißen Bauten mit den Bergen im Hintergrund. Neben dem Raki entschieden wir uns für einen weiteren Klassiker: mit Reis gefüllte Paprika. Gestärkt stiegen wir auf das Schloss Gjirokastra, jene imposante Festung, die über der Stadt wachte. Wir zahlten den Eintritt und betraten die Burg. Dunkles, kaltes Gemäuer empfing uns. Ein langer, mit Waffen und Panzern gespickten Gang führte uns in den Hinterhof. Dort eröffnete sich ein weitläufiger Platz mit grünen Wiesen und Mauer-Überresten, aus denen sich der Uhrenturm erhebt. Nach dem Rundgang erkundeten wir den anderen Teil der Festung, wo es Gräber und eine kleine Kapelle gab. Dort konnte man Kerzen anzünden. Er entzündete eine lange weiße Stabkerzen an den bereits brennenden Flammen mit den Worten: „Für die, die wir verloren haben.“


Der Hund dackelte uns hinterher, als würde er genau wissen, wo wir hinwollten. Als würde er zu uns gehören. Sobald wir das Hostel verlassen hatten, hatte sich der schwarz-weiß gescheckte Familienhund an unsere Fersen geheftet. Offensichtlich wollte er uns die halbe Stunde Fußmarsch zum Supermarkt begleiten. Folgsam taperte er über den Bürgersteig. Wenn er auf die Straße wechselte, riefen wir ihn zurück – er schien tatsächlich auf uns zu hören. Außer er auf Hühner traf. Dann gewann der Jagdinstinkt die Oberhand. Der Hund flitzte den Vögeln hinterher und verschwand aus unserem Blickfeld, sodass wir nur noch aufgeregtes Gackern und Flattern hörten. Wenig später fand er sich wieder zu unseren Füßen ein.

Vor dem Supermarkt angekommen bat ich ihn scherzhaft: „Bitte warte vor der Tür auf uns.“ Nach etwa einer Minute kam der Hund jedoch hinterher und begleitete uns durch die Gänge, vorbei an Waschmittel, Brot und Milch. Die Kassiererin lachte. Auf dem Rückweg verloren wir den Hund erneut. Zum ersten Mal wieder bei den Hühnern. Zum zweiten Mal in der Altstadt. Erst als wir schon eine Weile auf der Terrasse des Hostels saßen, kam er zurück. Dann erfuhren wir auch endlich seinen Namen: Cookie.


„Babameto 2“ spielte heute Techno, der bis in das Lokal rüber dröhnte, wo wir unser Abendessen einnahmen. Nur für den Ruf des Muezzins drehte man die Musik kurz runter. Wir saßen auf einer Holzbank vor dem Lokal „Edua“, an einem Tisch mit rot-weiß karierter Tischdecke, auf den bald allerlei Köstlichkeiten standen. Gemüse, gefüllte Weinblätter, Reisbällchen (die lokale Spezialität von Gjirokastra). Den Abend verbrachten wir auf der Terrasse unserer Unterkunft. Bis spät in die Nacht unterhielten wir uns. Es war bereits nach Mitternacht, als uns die Besitzer, die mit einer Angestellten aus Kolumbien am Nebentisch verweilten, unterbrachen. Sie boten uns hausgemachten Wein und Raki an. Wir nahmen jeweils ein Glas und stießen mit ihnen an. Es war einer diese Abende, die nie enden dürften.