Obwohl der Regen in Strömen vom Himmel goss, beschlossen wir, uns den berühmten Strand, die Playa Rincón anzuschauen. Er zählt nicht nur zu den beliebtesten Badestellen in der Dominikanischen Republik, sondern sogar zu dem besten Strände der Welt. Wir waren gespannt, war uns dort erwartetet. Umso überraschter waren wir, dass uns die Route zu einem der touristischsten Ziele des Landes mitten ins Nirgendwo führte. Rund um uns herum unberührte Natur. Saftig grüne Hügel, eine atemberaubende Steilküste und dichte Wälder aus Kokospalmen soweit das Auge reicht.

Lediglich ein paar Einheimische hatten sich am Wegrand ihre Stände aufgebaut und versuchen, den vorbeikommenden Urlaubern Obst, Gemüse und Souvenirs zu verkaufen oder hatten ihre kleinen Hütten zu Restaurants umfunktioniert, in denen sie typisch dominikanische Küche servieren. Unsere Augen blieben an einem riesigen Obststand hängen, den der Eigentümer aus ein paar robusten Ästen zusammengezimmert hatte. Bei dem Anblick der goldenen Mangos und dicken Avocados lief uns das Wasser im Mund zusammen und wir beschlossen, auf dem Heimweg dort anzuhalten.

Nach einem kurzen Spaziergang am Strand parkten wir unseren Wagen vor dem Stand und füllten zwei große Tüten mit Obst und Gemüse. Währenddessen kamen wir mit dem Verkäufer Maradona und seiner Frau Clara ins Gespräch. Neben den Lebensmitteln verkaufen die Beiden in ihrer „Casa de las Frutas“ auch Urlaubsandenken. „Wir hängen vom Tourismus ab“, erzählt uns Maradona. „Vor der Pandemie kamen hier jeden Tag scharen von Urlaubern vorbei“, fügt er hinzu. Sein schelmisches Grinsen weicht einem ernsten Gesichtsausdruck. Er lehnt sich in seinem Plastikstuhl zurück und schlägt den Blick nieder.

Seit gut einem Jahr fehlt ihnen fast jegliches Einkommen. Erst vor wenigen Monaten durfte seine Familie den kleinen Laden wieder öffnen und selbst dann kamen kaum Kunden vorbei. Seit dem Ausbruch der Pandemie hat die Tourismusbranche, der wichtigstes Wirtschaftszweig des Landes, einen gewaltigen Einbruch erlitten und obwohl es kaum Einreisebeschränkungen für das mittelamerikanische Land gibt, kommen immer noch Urlauber in die Region rund um die Playa Rincón. Doch der Trübsinn hält nicht lange an.

Maradona wirft seinen Kopf mit seinem blonden Afro in den Nacken und streckt seine Hände zu beiden Seiten aus. „Aber Hunger müssen wir niemals leiden“, betont er. „Das Land gibt uns mehr als genug Essen.“ Das Angebot seines Standes beweist es. Kochbananen, Bohnen, Salat, Tomaten, Kaffee, Kakao – es gibt kaum eine Pflanze, die seine Familie nicht anbaut. Seit über zehn Jahren wohnen sie an der Straße, die direkt zum dem bekannten Strand führt. Viel wichtiger als sein Einkommen ist für den Dominikaner seine Familie und die Dorfgemeinschaft. „Man hilft sich bei allem, immer“, schwärmt er. Er deutet auf ein großes, eingezäuntes Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

„Dieser Mann ist aus Amerika hergezogen und kannte niemanden“, erzählt er uns. Direkt bei dessen Ankunft habe Maradona sich mit ihm angefreundet und ihm geholfen, sich in dem kleinen Örtchen zu integrieren – für den Obsthändler eine Selbstverständlichkeit. Bei ihm ist jeder willkommen. Wieso sich bisher keinerlei Hotelbauten oder große Restaurants in der Gegen angesiedelt haben, ist ihm selbst schleierhaft. Er sieht für die Region rund um die Playa Rincón enormes Potential. „Ich glaube, in wenigen Jahren entsteht hier ein zweites Monte Carlo“, prophezeit er. Bevor es dazu kommt, würde Maradona selbst gerne investieren und einer der Ersten sein, die den Tourismus dort voranbringen.

„Aber ich habe das Geld einfach nicht“, sagt er schulterzuckend. Es laufe immer gleich an: Geschäftsmänner aus Europa und Nordamerika kommen auf die Insel, kaufen das Land und lassen riesige Ressorts entstehen. Sie streichen den Gewinn ein und die Einheimischen können lediglich hoffen, einen Job in den Hotels zu landen. Einer der Berufe, die in dem Land am besten bezahlt werden. Durchschnittlich verdient ein Dominikaner gerade einmal rund 150 Euro im Monat. Obwohl sich die Bevölkerung der Armut bewusst ist, in der ein Großteil von ihnen lebt, verlieren sie weder die Hoffnung noch den Kampfgeist.

Vor nahezu jeder verfallenen Hütte, in der oft Großfamilien auf wenigen Quadratmeter zusammenleben, haben die Bewohner mindestens einen kleinen Stand aufgebaut. Sie verkaufen, was im Garten wächst oder was sie mit wenig Aufwand herstellen können, etwa Saft oder Empanadas. Abgesehen von den wenigen Barracken ist die Gegend rund um den berühmten Strand aber völlig unbewohnt. Maradona will uns eines der Grundstücke zeigen, die zum Verkauf stehen. Zu dritt hüpfen wir in unser Mietauto, das den freundlichen Dominikaner zum Staunen bringt. „Uh, ein europäischer Wagen“, lacht er und macht es sich im Beifahrersitz bequem.

Nach wenigen Augenblicken fahren wir von der Hauptstraße ab und ruckeln über einen unbefestigten Schotterweg. Maradona ruft den zwei Bauern, die auf ihren kleinen Farmen die Felder bearbeiten, einen lauten, herzlichen Gruß zu und lotst uns weiter die Straße entlang. Wir kommen neben einem riesigen Areal von der Größe mehrerer Fußballfelder zum Stehen. Vor uns erstreckt sich ein rostbraunes Feld voller Mangobäume und Palmen. Dahinter ragen Berge in die Höhe und in der Ferne konnte man die Playa Rincón erspähen. Unser neuer Freund breitet die Arme aus, dreht sich um seine eigene Achse und erklärt: „5.000 Dollar für dieses Stück Land.“

Wir konnten es kaum glauben! Für die Standards, an die wir gewöhnt sind, ein wahres Schnäppchen. Für einen einheimischen Obsthändler wie Maradona jedoch eine unbezahlbare Summe. Hätte er das Geld zur Hand, würde er das Grundstück zweifellos sofort erwerben. Im Moment kann er aber nur hoffen, dass eine Person dort investiert, die das Geld in der Region lässt – oder dass die Gegend weiterhin unberührte Natur bleibt.

Wir bringen ihn zurück zu seinem Obststand. Währenddessen hatte seine Frau uns zwei goldgelbe Mangosäfte zubereitet, die wir für unseren weiteren Weg mitnahmen. Genussvoll schlürften wir das süße, cremige Getränk und dachten noch lange nachdem der Geschmack von unseren Zungen gewichten war, an den lieben, offenen Mann, der uns nicht nur sein Herz ausgeschüttet hatte, sondern auch seine Kultur viel näher gebracht hat.