Mexiko / Yucatán: Bunte Kunstwerke und ein brennendes Hotel auf Isla Holbox

Acht Uhr morgens und die Temperaturen sind bereits auf 30 Grad geklettert. Trotzdem entscheide ich mich für einen Platz in der Sonne vor dem kleinen, familiengeführten Lokal in Cancún, in dem ich bereits am Vortag gespeist hatte. Mein Frühstück besteht aus Tortilla-Chips, Gemüse, Bohnenmus und einem frischen Melonensaft. Guten Morgen, Mexiko.

Tortilleria auf der Isla Holbox

Muscheln liegen auf einer bunt bemalten Treppe

Der Bus schaukelt gemächlich über die Landstraße. Ich versinke in dem riesigen, flauschigen Sitz und lasse die Eindrücke an mir vorbeiziehen. Alles scheint so vertraut, als wäre ich schon unzählige Mal hier gewesen: Die Natur und ihr Flickenteppich aus tausend Grüntönen. Kleine Gemeinden, bestehend aus bunt bemalten Häusern, dazwischen Kioske, Lokale, Auto-Werkstätten, im Zentrum ein überdachter Dorfplatz. Die vollbehängten Wäscheleinen und die Jungs, die auf der Straße Fußball spielen.

Café auf Isla Holbox

Stoppschild, auf das vier Vögel gemalt worden sind

Sobald wir mit dem Bus am Fähranleger in Chiqilá ankommen, dröhnen uns aus den Lautsprecher-Anlagen der Ticket-Buden die Preise und die Abfahrtszeiten entgegen – 20 Minuten bis zur nächsten Überfahrt auf die Isla Holbox. Zeit für einen Snack (einen Obst-Teller) und Live-Entertainment (ein sehr alter Herr mit buschigem, weißem Bart, der die Wartenden am Pier mit Karaoke beschallt). Auf dem kleinen Speed-Boot sichere ich mir einen Platz auf dem oberen Deck. Plötzlich fallen dicke Regentropfen aus den grauen Wolken, die sich innerhalb von Sekunden am Himmel gesammelt hatten. Ich ziehe meinen Pullover über den Kopf und die Sonnenbrille auf die Nase. Es bleibt ein kräftiger, aber kurzer Schauer – bald hat sich die Sonne wieder ihren Platz freigeräumt und die Fähre gibt ordentlich Gas.

Straßenzug mit Touristen auf der Isla Holbox

Der Niederschlag hat auf Holbox seine Spuren hinterlassen. Asphalt ist Mangelware, deshalb hat der Regen die Straßen aufgeweicht und den Belag vielerorts in gewaltige Matschpfützen verwandelt. Ich bewege mich langsam und bedächtig vorwärts, weiche dem Schlamm elegant aus – bis ich an meinem Hostel bin. Eine Sekunde bin ich unaufmerksam und setze meinen Fuß direkt in den grauen Schleim. Abwaschen werde ich ihn im Meer, beschließe ich.

Strand von Holbox

Von Palmen gesäumter Gehweg auf der Isla Holbox

Im Badeanzug schlendere ich an den Strand, der nur wenige Gehminuten vom Hostel entfernt liegt. Ein endloser Streifen weißer Sand. Das Meer ist flach und ruhig, von einer hellen, türkisen Farbe, die Richtung Horizont in königsblau übergeht. Einheimische verkaufen frische Kokosnüsse und aus den Buden am Strand tönt Mariachi-Musik, die fast das Meeresrauschen übertönt. Auf dem Rücken lasse ich mich von den sachten Wellen treiben, schaue in die Wolken und versuche, diese Momente in mir festzuhalten. Wärme, Sonne und Gelassenheit für die kalten Winter-Tage in der Heimat. Nichts scheint gerade weiter weg.

Gemälde einer Fischerfamilie auf einem blauen Haus auf der Isla Holbox

Dorfplatz mit bunten Girlanden auf der Isla Holbox

Die Sonne bringt die bunten Fassaden zum Leuchten. An nahezu jeder Ecke prangt ein Kunstwerk. An einem dunkelblauen Haus bestaune ich das Gemälde einer Fischerfamilie auf einem Boot, der Sonnenuntergang golden hinter ihnen. Eine grün gestrichene Imbissbude schmückt sich mit dem Antlitz eines indigenen Mädchens, das zusammen mit Affen, Waschbären und einem Panda auf dem noch geschlossenen Tresen zu lehnt scheint. Geduldig auf die Gäste wartend, die auf den Schaukeln vor dem Lokal Platz nehmen können. Von einem Stoppschild schauen mir gleich mehrere Vögel entgegen. Ein rosa Flamingo und ein brauner Adler verdecken den Warnhinweis fast vollständig. Auf einer Treppe, die zu einem Balkon führt, liegen kunstvoll drapierte Muscheln. Am Übergang zum Strand steht ein mit Blumen und Engelsfiguren geschmückter Altar. Holbox strotzt vor Farbe.

Geschlossenes Restaurant mit dem Gemälde einer jungen Frau

Holzbuden von Straßenhändlern auf der Isla Holbox

Geschmückter Alter am Strand

Die Insel ist autofrei, stattdessen rasen die Menschen auf Rollern, Motorrädern und Quads durch die Gassen. Im Zentrum des Dorfes mischen sich schicke Lokale, vegane Restaurants und Smoothie-Bars unter die kleinen, schlichten Restaurants der Einheimischen. Auf einem Markt in der Nähe des Strandes bieten Händler in ihren aus Holz gezimmerten Buden hübsche ­– und ziemlich teure­ ­– Mitbringsel an. Taschen aus Leder, ausladende Macramé-Traumfänger und Ketten mit aus Edelsteinen geschnitzten Anhängern. Ich spare mir das Geld und die Zeit und spaziere zurück zum Ozean. Dort erwartet mich ein blau-pinker Sonnenuntergangshimmel, gespielt von den Pfützen aus Meerwasser, die die Flut am Strand hinterlassen hat.

Sonnenuntergang am Strand von Holbox

Stand von Holbox am Abend

„Alarm – es brennt!“ Zuerst verstehe ich überhaupt nicht, was los ist. Eben saß ich noch gemütlich in meiner Unterkunft auf dem Sofa, im nächsten Augenblick herrscht Panik vor dem Hostel. Ich schlüpfe in meine Flip-Flops und trete auf die Straße. Tatsächlich, am Strand brennt es lichterloh. Gigantische orangefarbene Rauchwolken steigen zwischen den Palmen auf. „In einem Hotel ist ein Feuer ausgebrochen“, weiß eine Frau aus Belgien. Da es auf der Insel keine Feuerwehr gibt, rennen zahlreiche Einwohner mit ihren Feuerlöschern und Wasserkanistern herbei, um Hilfe zu leisten. Viel ausrichten können sie nicht. Durch das Dickicht sind die lodernden Flammen zu sehen, Asche fällt vom Himmel – das Feuer scheint das komplette Gebäude zu verschlingen.

„Der Wind weht aber nicht in unsere Richtung, wir sind höchstwahrscheinlich in Sicherheit“, beruhigt die junge Frau an unserer Rezeption die aufgebrachten Hostel-Gäste. Schlafen kann dennoch niemand. Ich verweile in einer Hängematte, dämmere dort schließlich ein und wurde zum Festmahl für die Moskitos. Als ich wieder aufwache, hat sich die Lage beruhigt. Es sind kaum noch Menschen auf der Straße. Das Feuer scheint in Schach gehalten, zumindest ist nichts mehr von den Flammen zu sehen. Der beißende Geruch nach Rauch ist aber geblieben. Ich geselle mich zu den anderen in meinem Schlafsaal und denke an die Menschen, die in dem abgebrannten Hotel gearbeitet oder übernachtet haben.

Brennendes Hotel auf der Isla Holbox

Es stellt sich heraus, dass keiner bei dem Brand ernsthaft zu Schaden gekommen ist. Lediglich eine Person soll leichte Verletzungen erlitten haben. Das Hotel jedoch war nicht zu retten. Es liegt in Schutt und Asche. Das Areal um die Unterkunft ist weiträumig abgeriegelt, Polizisten schütteln vehement den Kopf, wenn Schaulustige oder Touristen sich dem rot-weißen Absperrband nähern. Inzwischen ist auch ein Feuerwehrauto eingetroffen. Der Wind entfacht immer wieder Rauchwolken, die mit düsterer Gewissheit aus den Überresten des Gebäudes aufsteigen.

Menschen spazieren auf den Gehwegen einer palmengesäumten Straße

Bunt bemaltes Haus auf der Isla Holbox

Ich bin mit mir selbst am Strand, führe mich selbst zum Essen aus, lade mich selbst auf Kaffee ein. Diese ganze Reise – eine Wertschätzung an mich selbst. Und auch das erste Mal, dass ich mir in diesem Jahr bewusst etwas Gutes tue, stelle ich mit Erschrecken fest. Ich löffele cremige Guacamole aus diesen göttlichen, riesigen Avocados. Selbst die Tortilla-Chips schmecken hier anders: fluffiger und leichter – sie passen zu diesem Ort. Wie der Geschmack einer frischen Kokosnuss zwischen den Palmen. Wie das Kleinkind in bunter, traditioneller Kleidung, das im Souvenirladen seiner Mutter auf den Kühlschrankmagneten kaut und den Kunden laut „Hola“ zuruft. Wie die vielen Möwen, die im Sturzflug über den Strand jagen. Wie die Hängematten, Lichterketten und überdimensional großen Traumfänger, die die Terrasse meines Hostels schmücken.

Ein ins Wasser ragender Steg auf Isla Holbox

Geschäft, das Souvenirs und Traumfänger verkauft

Es ist dunkelschwarz, als wir – eine Gruppe von Reisenden aus dem Hostel – am Strand entlangtapsen. Auf der Suche nach einem besonderen Leuchten, der Biolumineszenz. Dabei handelt es sich um ein Naturphänomen, bei dem das Plankton im Meer bunt leuchtet. Tagsüber laden sich die Organismen mit Sonnenlicht auf. In der Nacht kann es dann zu einer chemischen Reaktion kommen, die ein helles Leuchten hervorruft: Treffen Sauerstoff und die biologischen Stoffe Luciferin und Luciferase zusammen, entsteht Energie, die als Licht abgegeben wird. Wir wühlten eifrig mit den Händen im Meer herum, um ordentlich Luft in das Wasser zu mischen. Es dauert, bis wir den richtigen Ort gefunden haben. Dann blitzen plötzlich kleine weiße Funken im dunklen Ozean auf. Blaue und grüne Teilchen flitzen wie Glühwürmchen durch das Wasser. Den meisten Plankton finden wir jedoch im Seetang, den die Wellen tagsüber an das Ufer gespült haben. Wir müssen bloß mit dem großen Zeh durch das Kraut streichen und schon blinken die kleinen Organismen wie Weihnachtslichter. Ein Niederländer fängt ein dunkelblaues Exemplar in seinen Händen ein. Wir bewundern es andächtig – bis es schließlich erlischt.

Laura

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