Jodi, die Power-Frau mit großem Herz – und einem Koffer voller Medikamente

Als wir Jodi am Flughafen in Lima trafen, zeigte sie mit ihrem Finger sofort auf die roten Flecken, die mitten auf ihrem weißen Shirt leuchteten. „Ich habe gerade eine Frucht gegessen und mich vollgekleckert“, lachte sie. Das war das geringste Übel an dem Tag. Jodi war von Chicago aus nach Lima geflogen, um dann rauszufinden, dass ihr Anschlussflug nach Tarapoto gestrichen wurde. Zu allem Überfluss hatte die Airline auch noch ihr Gepäck verloren. Wir teilten ein ähnliches Schicksal: Unser Flieger nach Lima war verspätet abgehoben, sodass wir den Anschluss verpasst hatten. Unabhängig voneinander hatten wir dann den gleichen Flug zu unserem Endziel gebucht. Dort würden wir zusammen mit 17 anderen Frauen eine zweiwöchige Yogalehrerausbildung absolvieren. Über eine Whatsapp-Gruppe der Yogaschule fanden wir raus, dass Jodi ebenfalls am Flughafen festsaß und beschlossen, die Stunden bis zum Abend gemeinsam totzuschlagen.

Jodi at the Yoga school

Nachdem wir etwas gegessen und jeden Laden am Flughafen abgeklappert hatten, versuchten wir, unsere Müdigkeit und den Frust mit Hilfe eines Starbucks-Kaffees zu überwinden. Trotz der Probleme freuten wir uns darauf, in wenigen Stunden in die Yoga-Welt abzutauchen. „Yoga bedeutet Heilen für mich“, erzählte uns Jodi, wobei ihre blauen Augen funkelten. Vor zwei Jahren ging ihre Beziehung in die Brüche, was ihr damals das Herz brach. „Ich habe alle ausgesperrt, meine Familie, meine Freunde. Hatte keine Energie mehr, am Leben teilzuhaben“, erinnerte sie sich. Das Einzige, das ihr geholfen hat, war Yoga. Im Speziellen eine neue Yoga-Richtung namens „The 11:11 Practice“. Nach einer Weile „fühlte ich mich wie eine neue Version meiner Selbst“, beschrieb sie es. „Wie neugeboren. Ein großartiges Gefühl.“ Was genau hinter „11:11“ steckt, sollten wir in den kommenden Wochen noch zu spüren bekommen, zumindest ein Teil unserer Gruppe.

Four Yoga students performing some Acro Yoga

Als wir endlich unsere Maschine nach Tarapoto besteigen konnten, wuchs die Aufregung noch mehr. Es standen noch eine Stunde im Flieger und zwei weitere Stunden im Taxi an, bevor wir uns endlich auf dem Gelände von Moksha Yoga Amazonica mit den anderen Teilnehmerinnen um das Lagerfeuer versammeln konnten. Jodi saß uns gegenüber, in einen großen Schal eingehüllt. Im Schein der Flammen kämpfen auf ihrem Gesicht Müdigkeit mit freudiger Erwartung – uns ging es nicht anders und wir waren froh, bald in den Schlaf fallen zu können. Am nächsten Morgen – und an fast allen anderen Tagen – sprühte Jodi nur so vor Energie. Um sechs Uhr morgens begrüßte sie uns vor dem Yoga-Raum stets mit einem breiten Grinsen. Sie zog all die herausfordernden Yoga-Einheiten durch, meldete sich mit einem lauten „Ich mach’s“ immer freiwillig als Versuchskaninchen für unsere Lehrer und brachte mit ihren knallhart ehrlichen Aussagen alle anderen zum Lachen. „Ich fühle mich beschissen“, stellte sie am zweiten Tag in unserem Wahrheits-Zirkel fest, als es immer noch keine Spur von ihrem Gepäck gab.

Closing ceremony with students sitting in a circle and singing

Auch auf ihrer Arbeit ist Jodi eine echte Power-Frau. Seit 17 Jahren arbeitet sie als Chefkoch auf einem Segelschiff, das auf den Großen Seen im Norden der USA unterwegs ist. „Es ist ein forderndes Berufsumfeld“, erzählte sie uns beim Mittagessen in Moyobamba. In der zweiten Woche unserer Ausbildung hatten wir beschlossen, ein Mittagessen in der Schule ausfallen zu lassen, um die Stadt zu erkunden. Nach einer kurzen Fahrt mit einem der Motorrad-Taxen fand wir uns in einem Lokal wieder, das eher einer Sporthalle als einem Restaurant ähnelte. Dass um uns nur Einheimische speisten, sahen wir als ein sicheres Indiz für ein schmackhaftes, authentisches Mahl – und wurden nicht enttäuscht. Während wir auf unser Essen warteten, schlürften wir frischen Maracuja-Saft und Jodi berichtete uns noch mehr aus ihrem Berufsalltag.  Teilweise ist sie 60 bis 90 Tage auf dem Wasser unterwegs. Manch einem schlage das ganz schön aufs Gemüt. „Es ist eine mentale Herausforderung“, gibt sie zu.

Sitting in a mototaxi with Jodi

Aber über die Jahre hat Jodi Strategien entwickelt, um sich beschäftigt und bei Laune zu halten: Schreiben, Malen, Lesen, Yoga und Telefonate mit ihrer Familie. Das Beste am Alltag auf dem Schiff seien die Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge sowie der glasklare Nachthimmel, an dem Millionen von Sternen leuchten. „Und manchmal, wenn ich über das Deck laufe, fühle ich mich, als bewege ich mich mit den Wellen“, schwärmte sie. Nach ihrem Schulabschluss wollte sie eigentlich nur eine Saison auf dem Schiff verbringen. Doch sie verdiente gutes Geld, die Kollegen waren super und nach der Zeit auf See schließt sich immer eine lange, freie Zeit an. „Ich genieße die Freiheit, kann viel Reisen und in sechs Jahren bereits vorzeitig in Rente gehen“, zählt sie auf, während sie den letzten Rest Reis mit Bohnen von ihrem Teller löffelt. Dass sie den anspruchsvollen Job schon so lange Zeit durchgezogen hat, erfüllt sie mit Stolz. Wir zahlten für unser Essen und schlenderten über einen Markt, bevor wir zurück zur nächsten Unterrichtsstunde mussten.

Yoga students at the end of class lying in Savasana

Ein paar Tage später standen wir zusammen in der Schlange vor einem Souvenirshop im Naturreservat Tingana. Nach unserer Kanu-Tour wollten wir alle ein paar Andenken kaufen. Jodi hatte eine Tüte lokalen Kaffee in der Hand, die sie ihrem Bruder mitbringen wollte. Auch für ihre Nichte hatte sie bereits ein Geschenk gefunden. Mit ihrer Familie ist Jodi in ständigem Kontakt. „Sie sind meine Nummer eins“, sagte sie mit einem liebevollen Lächeln im Gesicht. Ihre Mutter, offenbar genauso eine Power-Frau wie Jodi, hatte sie und ihre drei Geschwister alleine großgezogen. Schon früh lernten sie, dass „unsere Verbindung uns durch alles im Leben bringt“. Eigentlich würde Jodi gerne Wisconsin verlassen und an die Ostküste ziehen. Doch die Nähe zu ihrer Familie ist ihr wichtiger. Plötzlich fiel Jodi auf, dass der Kaffee bereits gemahlen war. Ihr Bruder mag lieber ganze Bohnen. Kurzerhand trat sie die Packung an mich ab und suchte weiter nach Bohnen.

Jodi in a wild thing pose

Fündig wurde sie erst eine Woche später in einer Eisdiele, in der wir auf dem Rückweg von einem anderen Ausflug anhielten. Während wir auf unsere süße Abkühlung warteten, schwangen wir unsere Hüften zum Salsa, der in einer ohrenbetäubenden Lautstärke aus dem Radio tönte. Und auch nachdem wir unser Eis verspeist hatten, konnten wir gar nicht anders, als weiter zu tanzen. Wir bewegten uns raus aus dem Laden auf die Straße und wirbelten über den Asphalt. Sowohl die Bauarbeiter als auch die vorbeifahrenden Menschen lachten sich zusammen mit uns kaputt.

Dancing in the street with Jodi

Dass in Jodis großem Herz nicht nur ihre Familie Platz hat, stellte sie täglich unter Beweis. Sie war stets für alle anderen da. Jodi hatte für alle Sorgen, Probleme und Themen ein offenes Ohr. Sie schaffte es immer wieder, mich meine Angst, die ich vor meiner ersten eigenen Yogastunde hatte, vergessen zu lassen. „Du wirst das großartig machen“, war sie überzeugt. Kurz vor dem Stichtag ging ich mit ihr meine Bewegungsabläufe durch, wobei sie mir wertvolle Tipps gab, die ich alle in mein Konzept einbaute. Um mir noch mehr Nervosität zu nehmen, lieh sie mir ein beruhigendes Öl aus – und direkt nach der Stunde bekam ich eine herzliche, lange Umarmung. Jodi hatte nicht nur Öl in ihrem Gepäck, das am dritten Tag endlich die Yogaschule erreichte. Gefühlt hatte sie eine komplette Apotheke eingepackt und war mit allen möglichen Medikamenten, Tabletten und Substanzen ausgestattet. Damit versorgt sie weniger sich selbst als viel mehr alle anderen Frauen. Ob Magenprobleme, Regelschmerzen oder fiese Mückenstiche – Sobald jemand beim gemeinsamen Abendessen von einer Beschwerde berichtete, hatte Jodi das passende Gegenmittel parat.

Jodi getting her face painted by some locals

Nach ein paar Tagen verpassten wir ihr deshalb auch den Spitznamen „Medizin-Frau“. Gegen Ende der Reise benötige Jodi aber tatsächlich selbst Hilfe. Während unseres letzten Ausfluges zur Frauengemeinde „Las Nuwas“ waren wir mitten in einer Yoga-Einheit, als Jodi von einer Biene in den Arm gestochen wurde. Glücklicherweise kannten sich unsere einheimischen Gastgeberinnen mit Heilpflanzen und natürlichen Gegenmitteln aus. Eine der Frauen verpasste Jodi einen Verband aus grünen Blättern. Diese hatte die Dame zuvor in den Mund genommen und mit ihrer Spucke benetzt. Eine Heilmethode, die bei Jodi ein wenige Skepsis, aber vor allem Erheiterung auslöse. „Sie wird schon wissen, was sie tut“, lachte unsere Freundin.

Eating lunch in Moyobamba with Jodi

Am selben Abend musste sie ihre eigene Yogastunde halten, die sie nach dem „11:11“-Prinzip aufgebaut hatte. „Insgesamt gibt es elf Sonnengrüße. Drei am Anfang und am Ende, vier in der Mitte. Zwischendrin aktiviert man seine sieben Chakren, macht Bauchmuskelübungen, Cardio und bewegt sich durch mehrere Yoga-Posen“, beschrieb Jodi mir das Programm. Eine bunte Mischung aus Fitness und Yoga also, die einem so einiges abverlangt. Während in unserer Gruppe eine Teilnehmerin einen ruhigen, entspannte Einheit in unserem Yoga-Raum unterrichtete, hörten wir von draußen laute Musik und Jodis Kommandos. „Herabschauender Hund! Heraufschauender Hund!“, brüllte sie. Dass sie ihre Gruppe ganz schön gefordert hatte, hörten wir nicht nur, sondern sahen es auch an den schweißgebadeten, erschöpften Mädels, denen wir kurz darauf beim Abendessen begegneten.

Yoga students in child's pose

Wenig später saßen wir erneut in einem Kreis am Lagerfeuer. Es war der letzte Abend unserer Yogalehrerausbildung. Wir sollten reihum erzählen, was wir während der Zeit gelernt hatten. Knallhart ehrlich platze aus Jodi heraus: „Ich hasse Ameisen.“ Daraufhin brach Lachen aus. Wir alle hatten unzählige, juckende Bisse an unseren Füßen angesammelt, die mutmaßlich von Ameisen stammten. Ein Fazit, das wir nur zu gut nachvollziehen konnten. Um einiges emotionaler ging es bei der Abschiedszeremonie am folgenden Tag zu. Während wir unsere Zertifikate erhielten und gemeinsam sangen, kullerten uns allesamt die Tränen über die Wangen. Auch Jodi hielt ihre Gefühle nicht zurück und weinte hemmungslos mit uns allen. „Die Yogalehrerausbildung hat eine ganz neue Welt für mich eröffnet“, sagte sie bei unserem letzten Gespräch.

Jodi receiving her Yoga certificate

Das Zertifikat, das wir erhalten haben, ist einer Voraussetzung für ihre nächste Ausbildung: Zur offiziellen „11:11“-Trainerin. „Das war einer der Hauptgründe, hierher zu kommen“, erzählte sie mir. Dass sie so viel mehr als nur diesen Schein mitnehmen würde, hätte sie nicht erwartet. „Ich bin so dankbar für die Menschen, die ich hier getroffen habe“, sagte sie. Eine Gruppe „offener, verständnisvoller Frauen und vier wunderbare Lehrer“. Dem kann ich nur zustimmen. Wir dachten beide voller Dankbarkeit zurück an unser erstes Treffen am Flughafen. Die ärgerlichen Zwischenfälle hatten doch ihr Gutes: Sie waren der Beginn einer tollen Freundschaft.

Jodi showing her bright smile

Wenn Jodi zurück in Amerika und wieder auf dem Schiff ist, will sie erst einmal Yoga für ihre Arbeitskollegen unterrichten und selbst mehr entspanntere Yin Yoga-Einheiten in ihren Alltag einbauen. Im kommenden Jahr hat sie bereits eine weitere Ausbildung geplant. Dieses Mal in Bali. Ebenfalls auf ihrer Reiseliste: Deutschland – um uns besuchen zu kommen.

Laura

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