Grappa zum Frühstück bei Jure

Als wir die Fotos von Jures Unterkunft sahen, waren wir sofort begeistert von dem hübschen Anwesen mit dem Ausblick aufs kristallklare Wasser. Noch mehr überzeugten uns allerdings die Bewertungen der anderen Gäste. Sie alle schwärmten in höchsten Tönen vom Gastgeber, sodass auch wir ihn unbedingt kennenlernen wollten. Sein Heimatdorf Luka, in dem gerade einmal 80 Menschen leben, liegt auf Dugi Otok. Eine Insel in der Nähe der kroatischen Küstenstadt Zadar. Die Überfahrt mit der Fähre dauert eine Dreiviertelstunde. Bevor wir auf Jure trafen, erkundeten wir die Nordhälfte des langgestreckten Eilands und verliebten uns sofort in die unberührte, friedliche und fast schon leer gefegte Insel. Strahlend blaues Wasser, zerklüftete Steilküsten und einsame Strände, an denen Mitte Oktober keine Menschenseele unterwegs war.

Luka, hometown of Jure

Erst als die Sonne unterging, steuerten wir unseren Wagen auf das Anwesen von Jure, der sofort zur Stelle war, um beim Einparken zu helfen. Sobald wir ausgestiegen sind, begrüßte er uns mit einem kraftvollen Händedruck und einem mindesten genauso kraftvollen Grinsen. Er bedeutete uns, sich mit ihm auf die Terrasse zu setzten und schenkte uns sofort zwei Gläser von seinem hausgemachten Wein ein. Während wir das köstliche Getränk schlürften, erzählten wir ihm unsere ersten Eindrücke von der Insel. Jure, mit seinem heiteren Lächeln, hört aufmerksam zu und nickt immer wieder mit dem Kopf. Er lehnt sich mit seinem Glas in der Hand in seinem Stuhl zurück und sagt: „Ich liebe das Leben auf der Insel. Die Freiheit, die frische Luft, meinen Garten, in dem ich mein Obst und Gemüse anbaue, die Stille“, zählt er auf.

Our host Jure with his donkey

Diese Freiheit hatte er nicht immer. In jüngeren Jahren sah er sich gezwungen, nach Zadar überzusiedeln. „Es gab keine Jobs für junge Leute hier und der Tourismus war schwach“, berichtet er. Vor rund zehn Jahren habe noch keiner auf Dugi Otok überhaupt daran gedacht, jemals vom Tourismus leben zu können. Jure, der in Luka geboren und aufgewachsen ist, zog also aufs Festland. Dort arbeitete er erst bei einem Bootsbauer, dann für einen großen Autohersteller. Richtig glücklich war er aber nicht in der Küstenstadt. „Ich habe mein Zuhause vermisst und wollte immer hierher zurückziehen“, erzählt er, während er uns Wein nachschenkt. Jeden freien Tag nutzte er damals, um seine Heimat, seinen Sehnsuchtsort zu besuchen.

Sunset in Croatia

Hinter unserem Gastgeber versinkt die abendliche Sonne allmählich im Wasser und die ersten Schatten der Dämmerung legen sich über uns. Zirpende Grillen begleiten die Geschichte unseres Gegenübers. Vor einigen Jahren dann sah Jure die Chance, tatsächlich vom Tourismus leben zu können. Er nennt es den Beginn der „Ära von Ryanair und Booking.com“. Seine Familie hatte bereits zuvor immer wieder Zimmer an Urlauber vermietet und die Nachfrage steig stetig. Also beschloss der Kroate, zurück nach Luka zu kommen und den Tourismus zu seinem Hauptgeschäft zu machen – für ihn die beste Entscheidung seines Lebens. Seither hat er unzählige Urlauber aus aller Welt begrüßt und kennengelernt.

Jure on a boat trip

Genau das gefällt ihm besonders gut. „Ich liebe es, neue Leute zu treffen und von ihnen zu lernen“, sagt unser Gastgeber. Die Weinflasche hatten wir inzwischen geleert, doch bevor wir uns ins Bett verabschiedeten, bestand Jure darauf, dass wir seine getrockneten Feigen probieren. Das ließ ich mit nicht zweimal sagen! Im August und September erntet unser Gastgeber stets so viele Früchte, dass er sie trocknet und dann das ganze Jahr davon essen kann. Ich freute mich über den süßen Snack, bevor wir uns durch die Dunkelheit auf den Weg in unser Zimmer machten.

Myself enjoying dried figs of Jure

In den kommenden Tag wollten wir mit einem Kaffee starten. Die kleine Filtermaschine auf unserem Zimmer funktionierte allerdings nicht, da wir offenbar einen kurzen Stromausfall hatten. Jure half uns wenig später mit kochendem Wasser aus, das er über einer Flamme erhitzt hatte. Bevor wir dann zu einer weiteren Erkundungstour aufbrachen, saßen wir wieder auf der Terrasse zusammen. Unser Gastgeber kramte eine Broschüre mit einer Karte der Insel hervor. Mit einem Kulli bewaffnet zeichnete er uns seine Geheimtipps ein. Die schönsten Orte und Routen. Das Prospekt bewahrte ich nicht nur während der Zeit auf Dugi Otok, sondern auch auf der restlichen Kroatien-Reise auf. Zuhause war das Stück Papier zwar schon ziemlich zerfleddert, klebt aber nun als ewige Erinnerung in meinem Fotoalbum.

Cliffs on Dugi Otok

Nachdem wir den Tag in der atemberaubenden Natur der Insel verbracht hatten, waren wir restlos begeistert. Glücklich und zufrieden kehrten wir am Abend zu Jure zurück, der sich mit uns freute. Wenig später feuerten wir den Grill an und schon bald zog der Duft von geschmorter Paprika und gegrillten Zwiebeln durch die Luft. Jure und ich lehnten uns an den steinernen Kamin und ließen uns vom Feuer wärmen. Beide mit einem Bier in der Hand unterhielten wir uns weiter über seine traumhafte Heimatinsel, die trotz des wachsenden Tourismus immer noch relativ unbekannt ist. Viele Besucher zieht es eher auf die bereits sehr bekannten Inseln wie Hvar oder Korčula. Eine Tatsache, die Jure aber überhaupt nicht stört.

Cristal clear water on Dugi Otok

„So ist es auch in der Hauptsaison nie überfüllt und immer noch relativ ruhig“, erzählt er uns. Nichtsdestotrotz hat er in den drei Sommermonaten alle Hände voll zu tun und ist den ganzen Tag mit den Touristen und seiner Pension beschäftigt. Dafür sieht das restliche Jahr genau andersherum aus. Mit dem Geld, das er im Sommer verdient und spart, kann er die restlichen Monate problemlos leben. „Ich kann in den Tag hineinleben“, sagt er mit seinem breiten Grinsen im Gesicht. Er schläft aus, geht angeln oder kümmert sich um seinen Garten. Seine Trauben verarbeitet er im September erst zu Wein. „Die Reste der Früchte destillieren wir dann zu Grappa“, fügt er hinzu. Daneben stellt der Kroate noch Walnuss -und Johannisbrot-Likör her. Natürlich beharrte er darauf, dass wir sein Sortiment probieren. Aber nicht bevor wir unser Abendessen verspeist hatten. Danach waren wir allerdings so müde, dass wir das Likör-Testen auf den kommenden Tag verschoben.

Jure on top of a rock

Da wir am Mittag schon abreisten, servierte Jure uns seine Schnaps-Selektion direkt zum Frühstück. Einmal mehr saßen wir auf der Terrasse. Unser Gastgeber stellte mehrere Gläser und Flaschen vor uns auf den Tisch. Daneben durften wir auch sein hausgemachtes Olivenöl verkosten. Um das herzustellen, müssen seine Frau und er einen Ausflug nach Sali, der größten Stadt der Insel, unternehmen. Nur dort gibt es eine Presse für die Oliven. Im Winter verkauft Jure dann das Öl und den Fisch, den er bei seinen Angel-Ausflügen fängt. So sichert er sich ein kleines Nebeneinkommen. „Alles, was ich ernte, ist komplett biologisch angebaut“, sagt er, während er sein erstes Glas Grappa austrinkt. „Keine Pestizide, alles natürlich.“

Two donkeys on Dugi Otok

Der Likör war ungewohnt stark für mich, aber köstlich. Kaum waren die Gläser leer, schenkte Jure auch schon wieder nach. Bei der dritten Runde musste ich allerdings aufgeben, was die anderen zum Lachen brachte. „Ich mache ungefähr 20 Liter davon im Jahr, aber das reicht eigentlich nicht aus“, stellt der Kroate fest. Denn seine Produkte sind gefragt auf der Insel. Auch wir kauften einen Likör. Dazu schenkte Jure uns noch eine Tüte getrockneter Feigen und ein Fläschchen Olivenöl. Obwohl wir schon längst aufbrechen wollten, konnten wir uns nicht losreißen. Zu sehr genossen wir Jures Gesellschaft, seine Wärme, Herzlichkeit und Offenheit. In meiner Nase vermischte sich der Duft nach dem starken Likör mit dem Geruch des Feuers der vergangenen Nacht, der noch immer in meinen Haaren hing.

View of some small islands in Croatia

Wir, die als zwei Reisende die Welt erkunden und unser Gastgeber, der die Welt zu sich einlädt. Ein Mann, der seinen Traum lebt. „Für mich ist das Wichtigste im Leben, dass ich zufrieden bin mit diesem Leben“, gibt er uns zum Abschied mit. Zufrieden mit seinem Wohnort und seiner Arbeit. „Ich würde mich nichts und niemandem tauschen wollen“, ist er überzeugt. „Nicht einmal mit Christiano Ronaldo“, fügt er mit einem letzten Lachen hinzu, bevor er uns in die Arme schließt und wir in unser Auto steigen. Im Rückspiegel sehen wir ihn noch winken, bis sein Abbild immer kleiner wird und nach der nächsten Kurve aus dem Sichtfeld verschwindet.

Laura

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